Urban Gothic (German Edition)
noch. Vielleicht kaufen sie alles hier auf und siedeln uns in eine hübschere Gegend um. In New Jersey sind die Idioten schon dabei, Camden herzurichten – was ungefähr so ist, als wolle man aus einer Zweidollarnutte eine Schönheitskönigin machen. Früher oder später werden dieselben Idioten hier dasselbe versuchen. Dann können sie sich mit dem Haus auseinandersetzen. Sollen sie ruhig.«
Leo runzelte die Stirn und wurde sehr still. Sein Gesichtsausdruck wirkte zutiefst nachdenklich. Perry wollte ihn gerade fragen, was ihm durch den Kopf ging, als ihm Jamal zuvorkam. »Verdammt, Mr. Watkins.«
»Was?«
»Ich hab Sie noch nie so viel reden gehört«, sagte Jamal. »Ich dachte immer, Sie wären andauernd nur mürrisch und so.«
Lächelnd senkte Perry die Stimme. »Ich rede nicht viel, weil mir Mrs. Watkins keine Gelegenheit dazu lässt. Jedes Mal, wenn ich den Mund aufmache, um etwas zu sagen, unterbricht sie mich.«
Alle lachten, doch für Perry hörte es sich seltsam an, als seien der Beton und die Dunkelheit nicht an solche Geräusche gewöhnt. Schon bald verstummte das Gelächter. Anschließend verfielen sie in Schweigen. Perry zündete sich eine weitere Zigarette an. Der Wind nahm zu, und er musste die Hand schützend um die Flamme legen, damit sie nicht ausgeblasen wurde. Die braunen Blätter eines verkrüppelten, abgestorbenen Baums, der aus dem aufgebrochenen Betonbürgersteig wuchs, raschelten in der Brise. Es hörte sich wie ein Todesröcheln an.
Sie beobachteten das Haus und warteten.
Perry wusste nicht mehr so recht, worauf sie eigentlich warteten.
Paul rümpfte angewidert die Nase, als er den Boden des Schachts erreichte. Die Luft roch nach faulen Eiern. Ein dünnes Rinnsal widerwärtigen Wassers plätscherte den Tunnelboden entlang und verschwand in der Dunkelheit. Tatsächlich handelte es sich bei dem Tunnel um ein mächtiges Kanalisationsrohr, groß genug, um sowohl häusliches und gewerbliches Abwasser als auch den Zulauf von den Gullys der Stadt aufzunehmen. Ihn überraschte, dass so wenig Wasser durch das Rohr floss. Angesichts der Vielzahl der Häuser in diesem Teil der Stadt hätte es deutlich mehr sein müssen.
Er leuchtete mit der Taschenlampe umher und kundschaftete seine Umgebung aus. Der Tunnel war hoch genug, dass er aufrecht darin stehen konnte, wenngleich er mit dem Kopf die Decke streifte. Rost und klebrige Spinnwebfäden verhedderten sich in seinem Haar. Müßig fragte er sich, ob es eine Möglichkeit gab, diese Kanalisationsrohre unter dem Asphalt herauszureißen. Das Altmetall wäre in Gold kaum aufzuwiegen.
Nachdem sich Paul orientiert hatte und sich seine Augen an die Lichtverhältnisse angepasst hatten, trabte er in Richtung des Hauses los. Er lief krummbeinig mit den Füßen an den Seiten des Rohrs, statt unten auf dem Boden, damit er nicht durch das Wasser waten musste. Der Strahl der Taschenlampe erfasste alte Hochwasserstände an den Wänden. Anscheinend war das Wasser irgendwann wesentlich höher und reißender hindurchgeströmt. Nun bedeckten nur noch Rückstände die Seiten des Rohrs. Seine Füße schlurften durch Laub, schrumpelige Kondome, Zigarettenstummel, Plastiktüten, zerknitterte Lebensmittelverpackungen, leere Flaschen, klumpiges Toilettenpapier, Tampons, zusammengedrückte Bierdosen und ähnlichen Unrat, der von den Straßen heruntergeschwemmt oder aus den Wohnungen heruntergespült worden war. Paul spielte mit dem Gedanken, die Aluminiumdosen aus dem Dreck zu fischen, entschied jedoch, dass sich die Mühe nicht lohnte. Die Chancen standen gut, dass er in dem verlassenen Haus auf erheblich wertvolleres Altmetall stieß.
Der Gestank wurde durchdringender, je weiter sich Paul den Tunnel hinabbewegte, und er konzentrierte sich darauf, durch den Mund zu atmen. Die Luft fühlte sich feucht und kalt an. Gelegentlich strich eine frische Brise über sein Gesicht. Paul fragte sich, woher sie stammen mochte. Unwillkürlich zerbrach er sich auch den Kopf über mögliche Krankheiten. Obwohl er schon an einer Vielzahl unterschiedlicher Orte Altmetall erbeutet hatte, stapfte er zum ersten Mal durch die Kanalisation. Zwar hatte er noch keine Kackwürste vorbeitreiben gesehen, und das Wasser schien nicht gelb zu sein, doch das bedeutete keineswegs, dass der Ort hygienisch war. Was, wenn sich Bakterien an den Wänden befanden oder durch die Luft trieben? Konnten Bakterien überhaupt durch die Luft schweben? Er wusste es nicht und wünschte, er wüsste es.
Es ließ
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