Urban Gothic (German Edition)
eine Tür, hinter der sich die Küche befand. Die provisorische Beleuchtung an der Decke brannte. »Ich muss mich kurz ausruhen«, presste Brett hervor. »An der Tür ist kein Schloss, also sollte einer von uns Wache halten.«
Javier lehnte Brett an die Wand und brachte ihn in eine kniende Haltung. Dann begann er, sich umzusehen. »Suchen wir etwas, das wir gegen die Tür stemmen können. Damit sie wenigstens Zeit verlieren, wenn sie reinkommen wollen.«
»Vergiss es«, keuchte Brett, der auf den Knien vor und zurück schaukelte. »Ich hab vorhin schon nach etwas Ausschau gehalten. Es gibt nichts.«
Kerri merkte, dass sie in einer breiten Schneise aus frischem Blut stand. Die Flecken führten zu einer geschlossenen Tür im hinteren Bereich des Raums. Es sah aus, als habe jemand einen Mopp in einen Eimer voll Blut getaucht und anschließend über die Holzbretter gezogen. Erschrocken würgte sie vor Abscheu und trat beiseite. Ihre Schuhe hinterließen rote Abdrücke.
»Das ...« Bretts Kehle bewegte sich stumm. »Sie haben Steph und Tyler hier durchgeschleift. Noigel und der andere.«
Kerris Hand schoss zu ihrem Mund. Sie schloss die Augen und bemühte sich, stark zu bleiben.
»Der andere«, wiederholte Javier. »Du hast gesagt, er habe eine Frauenhaut am Körper getragen, richtig?«
»Ja. Mir wird schon schlecht, wenn ich nur daran denke.«
»Hast du seinen Namen gehört?«
»Nein. Obwohl ›bescheuerter Irrer‹ hervorragend zu ihm passen würde.«
Javier hob ein weißes Stück Putz auf und zeichnete damit eine kleine Linie auf seinen Unterarm. Daneben malte er einen zweiten Strich, gefolgt von einem kürzeren.
Heather beugte sich dicht zu ihm. »Was machst du da?«
»Hast du nie Stirb langsam gesehen?«
»Nein.«
»Ich markiere mir, wie viele noch übrig sind – von denen wir wissen. Dieses Zeichen ist für Noigel, dieses hier für seinen Transvestitenfreund.«
»Wofür steht der halbe Strich?«
»Für den, dem Kerri die Zunge abgebissen hat. Wir wissen ja nicht, ob der noch lebt oder tot ist.«
Brett ließ sich auf den Hintern plumpsen und spähte zur Decke hinauf. »Ich wünschte, ich wüsste, wie man die Lampen ein- und ausschaltet. Die Schalter habe ich ausprobiert, aber keiner davon funktioniert. Es muss eine zentrale Sicherung oder so was in der Art geben.«
Kerri ging auf den Kühlschrank zu. Sie atmete durch den Mund. Die Luft stank nach Schimmel und Dreck. Staub schwebte in den Lichtstrahlen und wirbelte darin wie winzige Schneeflocken. Auch hier kroch der ekelhafte schwarze Schimmel über die Wände. Auf der Tür des Kühlschranks befand sich ein blutiger Handabdruck. Er schien alt zu sein – das Blut sah eher wie Dreck als wie eine Flüssigkeit aus. Kerri schielte hinter das Gerät und stellte fest, dass jemand das Stromkabel gekappt hatte. Die ausgefransten Drähte baumelten von der Rückseite wie Adern aus einem abgetrennten menschlichen Glied.
»Helft mir mal«, forderte sie die anderen auf. »Wir schieben den Kühlschrank vor die Tür.«
»Vergiss es«, erwiderte Brett. »Hab ich auch schon probiert. Der ist sauschwer und das macht zu viel Lärm. Außerdem sollte man einen Friedhof in Ruhe lassen.«
»Einen was?«
»Einen Friedhof«, wiederholte er. »Der Kühlschrank ist voll mit Rattenknochen.«
Kerri wich hastig zurück und stieß ein angewidertes Keuchen aus. »Großer Gott ...«
Brett, Heather und Javier lachten leise. Kurz darauf stimmte Kerri mit ein. Es fühlte sich erlösend an. All die negativen Emotionen flossen aus ihr ab.
»Kommt«, meinte Javier schließlich und half Brett auf die Beine. »Sehen wir uns den Keller an und suchen nach dem Ausgang.«
Javier ging zur Kellertür voraus, als nähere er sich einem Hornissennest. Die Bodenbretter knarzten. Als er die Tür öffnete, spürten sie eine sanfte Brise im Gesicht. Der Geruch, der darin mitschwang, war entsetzlich und undefinierbar, aber der Luftzug fühlte sich herrlich an. Kerri wusste nicht, ob es daran, an ihrem Gelächter oder an einem neuen Adrenalinstoß lag, der durch ihren Körper strömte, aber unverhofft überkam sie eine positivere, eine optimistischere Einstellung. Zum ersten Mal, seit sie das Haus betreten hatten, wagte sie zu hoffen. Sie klammerte sich an diese Empfindung und schöpfte Kraft daraus, als sie am Kopf der Kellertreppe standen und sich auf den Abstieg vorbereiteten.
Javier starrte eine Weile in die Dunkelheit hinab. Durch das Licht in der Küche funktionierte seine Nachtsicht
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