Urban Gothic (German Edition)
schon, verdammt!«
Heather stockte der Atem, als Javier dem vordersten Angreifer gegen den Kiefer schlug. Er schüttelte seine Hand und krümmte sich vor Schmerzen, als die Kreatur am Boden zusammenbrach. Javier sprang über das sich windende Geschöpf hinweg, brüllte und drängte die Mädchen, ihm zu folgen. Er peitschte mit dem Gürtel auf eine weitere Gestalt ein und versuchte, eine Schneise zu schlagen, dann preschte er in die Dunkelheit. Heather rannte, bemühte sich verzweifelt, mit ihm Schritt zu halten. Javier schien übergeschnappt zu sein. Nichts mehr zu sehen von der coolen Selbstsicherheit, die er bislang an den Tag gelegt hatte. Seine Handlungen wirkten krampfhaft. Manisch. Er brüllte erneut, diesmal auf Spanisch.
Er hat Angst, dachte sie. Aber das bedeutet nicht, dass er uns hier unten im Stich lässt. Das wagt er nicht. Er liebt mich. Er lässt mich nicht hier zurück. Und Kerri auch nicht.
Heather biss sich auf die Unterlippe. Trotz der unmittelbaren Gefahr, die von allen Seiten drohte, fragte sie sich unwillkürlich, ob Javier Gefühle für Kerri hegte. Nach Tylers und Stephanies Tod hatten die beiden Zeit miteinander verbracht, während Heather in ihrem Versteck wartete. Kerri und Javier gingen seitdem irgendwie vertrauter miteinander um. Bildete sie sich das nur ein oder war in der Zwischenzeit tatsächlich etwas passiert?
Javier brüllte ein drittes Mal, doch Heather konnte nicht verstehen, was er sagte. Sie konnte nicht einmal abschätzen, ob es sich um Englisch oder Spanisch handelte. Aufgrund des wilden, aufgeregten Geschnatters ihrer Feinde konnte sie ihn kaum hören. Das bizarre Geheul wurde mittlerweile durch kehlige Knurr- und Grunzlaute ergänzt. Überraschenderweise sprachen einige der Kreaturen. Was sie sagten, wirkte fast noch beängstigender als ihre Erscheinung. Sie drohten den Teenagern mit einer Fülle von Verstümmelungen, Folterungen und Abartigkeiten, sobald sie sie erwischten.
Heather hatte nicht die Absicht, das zuzulassen. Sie rannte, ohne darauf zu achten, ob Kerri und Brett ihr folgten. Es klang, als finde in ihrem Rücken ein Kampf statt. Sie hörte Brett schreien. Dann ging sein Gebrüll in ein lang gezogenes Heulen über, das abrupt verstummte. Heather stürmte voran und konnte nur knapp den Pranken von einem der Freaks ausweichen, der nach ihr griff.
Lange, rissige Fingernägel schabten über ihre Haut und bohrten sich in ihre Schulter. Sie schüttelte die Hand ab und lief weiter.
»Schnappt sie!«, kreischte einer der Kellerbewohner. »Lasst sie nicht entkommen!«
»Sie sind schnell«, rief ein anderer. »Meine Beine sind nicht so lang wie ihre.«
»Du wirst gar keine Beine mehr haben, wenn du sie entwischen lässt, weil wir dann stattdessen deine futtern.«
Ein unvorstellbar fetter Koloss ragte über ihr auf und keuchte rasselnd vor Anstrengung. Heather wich ihm mühelos aus, erhaschte dabei jedoch einen flüchtigen Blick auf zwei bleiche, schwere Brüste, die zwischen verschwitzten wabernden Massen von Fleisch schaukelten. Es handelte sich um eine – nackte – Frau, die mit kalten, klammen Händen nach ihr ausholte. Ihre Haut fühlte sich an wie Wachs. Heather schauderte vor Abscheu.
»Javier? Wo bist du?«
Zur Antwort kicherte etwas in der Finsternis.
»Hier«, rief er. Seine Stimme schien aus weiter Entfernung zu kommen. »Heather?«
Ein weiterer Mutant sprang auf sie zu, als sie Javiers Stimme folgte und zu spät erkannte, dass sie mitten in die Horde ihrer Angreifer flüchtete. Mittlerweile befand sich Heather außerhalb der Reichweite des Küchenlichts. Die Kreatur stand allerdings so nah, dass sie ihre Züge trotz der Dunkelheit ausmachen konnte. Gesicht und Schnauze erinnerten an einen Pavian, der kurze, gedrungene Körper schien größtenteils unbehaart zu sein. Die Augen gehörten definitiv einem Menschen und sie funkelten wütend. Heather preschte nach links, weg von ihrem Verfolger, dann schlug sie einen Haken zurück nach rechts. Ihr Herz hämmerte in der Brust. Sie atmete durch den Mund, um dem Gestank zu entgehen, den die Kreaturen verströmten.
Vor sich vermeinte sie, den Gürtel schnalzen zu hören. Ein gequälter Aufschrei folgte. Heather rannte in die Richtung, fest entschlossen, sich nicht von Javier trennen zu lassen. Der Untergrund fühlte sich uneben an und verlief abschüssig. Ungeachtet der Finsternis spürte sie, dass der Abhang erheblich steiler wurde. Sie zuckte zusammen, als etwas, das sie für scharfkantige Steine hielt,
Weitere Kostenlose Bücher