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Urban Gothic (German Edition)

Urban Gothic (German Edition)

Titel: Urban Gothic (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
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sich, um mit den Fingern ihren Weg zu ertasten.
    Nach einigen weiteren Schritten verfing sich etwas in ihrem Haar und zerrte daran. Kerri kreischte. Ihre Hände schossen zu ihrem Kopf, schlugen und kratzten den Angreifer. Ein zweiter Schrei blieb ihr in der Kehle stecken, als sie das Hindernis berührte. Sie hatte mit einer Hand gerechnet, doch stattdessen stießen ihre Finger gegen etwas Langes und Dünnes, das aus Holz bestand. Es leistete keine Gegenwehr, als sie es packte, rührte sich überhaupt nicht. Anfangs konnte sie sich nicht zusammenreimen, worum es sich handelte. Ein Holztentakel? Eine neue Falle? Erst dann begriff sie, was da an ihren Haaren zog: das untere Ende der Wurzel eines Baums.
    Kerri beruhigte sich und entfernte die Ranke aus ihren Strähnen. Sie konnte sich nicht erinnern, Bäume in der Umgebung gesehen zu haben, als sie vor der Straßengang geflohen waren. Klar, zu dem Zeitpunkt hatten sie dringendere Sorgen gehabt und kaum auf die Gegend geachtet. Trotzdem glaubte sie, sich daran erinnern zu können, falls es Bäume in der Nähe gegeben hätte. Jedenfalls baumelte hier eine Wurzel aus einer Höhe, die sie nicht abschätzen konnte, herab. Sie hob die Arme über den Kopf und schwenkte sie. Ihre Fingerspitzen streiften weitere Wurzeln. Dort oben wuchsen definitiv Bäume. Das bedeutete, sie befand sich entweder weit vom Haus entfernt oder die Bäume waren längst abgestorben, sodass nur noch ihr unterirdisches Wurzelsystem zurückgeblieben war – gespenstische Finger, die an ihren Haaren zogen und die Menschen daran erinnern wollten, dass es hier vor all dem Asphalt, den Häusern und dem Beton einmal Bäume gegeben hatte. Der Gedanke ließ sie schaudern. Kerri fragte sich, ob das Geflecht der Wurzeln auch verhinderte, dass die Decke über ihr einstürzte. Falls ja, durfte sie sich glücklich schätzen.
    Die Falltür, die in diese unterirdische Kammer führte, befand sich irgendwo in ihrem Rücken, doch die genaue Position kannte sie nicht mehr. Da sie sich der Erdoberfläche weit genug genähert hatte, um auf Baumwurzeln zu stoßen, vermutete sie, dass der Boden unter ihren Füßen deutlich anstieg, aber erkennen ließ es sich in der Finsternis nicht.
    Sie ging weiter. Die Luft stand still, wies nicht einmal den leisesten Hauch einer Brise auf.
    Deshalb hielt sie jäh inne, als ihr unvermittelt ranziger, heißer Dunst ins Gesicht wehte. Erschrocken taumelte Kerri vorwärts. Ihre Arme stießen gegen etwas – weich, glitschig und nachgiebig. Haut. Zwei starke behaarte Hände packten ihre Gelenke und zerrten sie mit einem Ruck nach vorn. Sie stolperte, als ein weiter Atemstoß der Kreatur ihre Sinne bestürmte. Es stank nach faulen Eiern und Fäkalien.
    Kerri schrie, und die Kreatur in der Dunkelheit lachte. Dann schlang sie die Arme um den Körper des Mädchens und drückte zu.
    Als Javier allmählich glaubte, die Stille keine Sekunde länger ertragen zu können, blieb er stehen und lauschte. Irgendjemand befand sich vor ihm. Nein, nicht bloß irgendjemand. Es musste sich um mindestens zwei Personen handeln, vielleicht sogar mehr. Einen Moment lang flackerte die Hoffnung in ihm auf, dass es die Mädchen oder Brett sein könnten, doch sie wurde sofort wieder zunichtegemacht. Was er hörte, war eine verstörende Abfolge von Lauten – etwas, das nach Gesprächsfetzen klang, allerdings in keiner Sprache, die er kannte. Sie muteten wie Kauderwelsch an, so zusammengesetzt, dass es beinahe Worte ergab. Javier vermochte nicht abzuschätzen, aus welcher Entfernung sie herandrangen. Die Stimmen klangen nicht aufgeregt, deshalb ging er davon aus, dass sie seine Gegenwart noch nicht bemerkt hatten.
    Seine Blase schmerzte. Er musste dringend pissen, doch er fürchtete, wenn er es tat, verrieten ihn das Geräusch oder der Geruch.
    Schlurfende Schritte bewogen ihn, sich hinzukauern. Sie stammten aus einer anderen Richtung als die gedämpften Stimmen. Kurz darauf schloss sich ein dritter Sprecher der Unterhaltung an, aber im Gegensatz zu den anderen artikulierte sich der Neuankömmling verständlich – einigermaßen. Seine Stimme klang, als habe er den Mund voll Stacheldraht.
    »Was macht ihr zwei da? Hab ich euch nicht gesagt, ihr sollt auf die Jagd gehen? Schlimm genug, dass wir sie zuvor in all dem Chaos verloren haben. Je länger sie hier unten frei rumlaufen, desto schlimmer wird es.«
    Darauf folgte eine wirre, aufgeregte Erwiderung. Dann sprach der Neuankömmling weiter.
    »Seht ihr, genau deshalb

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