Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)
Stuhlbein in die Brust rammte. Um völlig ehrlich zu sein, erzählte ich Daniel dann auch noch, wie Talbot mir beigebracht hatte, die Verbrennungen auf meinem Gesicht heilen zu lassen.
»Jetzt verstehe ich, wieso du dich von ihm angezogen gefühlt hast«, sagte Daniel. »Du hattest schon immer eine Schwäche für die gefährlichen Jungs.«
»Ja, aber ich liebe nur dich«, erwiderte ich.
Dann schwiegen wir für eine lange, lange Weile.
Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn ich schlug die Augen auf, als ich draußen vor der Tür wütende Stimmen hörte. Offenbar gab es eine Rauferei. Zuerst dachte ich, dass Jude vielleicht zur Besinnung gekommen wäre und uns retten wollte. Ich richtete mich kerzengerade auf. Dann wurde mir klar, dass da draußen gar keine Geräusche waren.
»Alles in Ordnung?«, fragte Daniel. Seine Stimme überschlug sich ein wenig. Wenn es ihm wie mir ging, musste er schrecklichen Durst haben. Es waren schon mehrere Stunden vergangen, seit ich etwas gegessen oder getrunken hatte.
»Ja, ich muss wohl geträumt haben.«
»Ich hatte auch einen Traum«, sagte Daniel. Einen Augenblickwar er ganz still. »Glaubst du, dass wir nach Trenton heiraten und in New York oder sonst irgendwo wohnen können? Ich könnte als Industriedesigner arbeiten und du könntest dich halbtags als Ninja-Kriegerin der Verbrechensbekämpfung widmen.«
Ich musste fast lachen, hielt mich aber zurück, da das Lachen wohl eher zu einem Schluchzen geworden wäre. Ich atmete tief ein und leitete einen Teil meiner Kraft zu meinen Augen, bis ich wieder im Dunkeln sehen konnte. Daniel kniete vor mir auf dem Zementfußboden. Ich wusste nicht, ob er mich im Dunkeln sehen konnte. Er hatte dieses besondere Lächeln auf den Lippen – das mir sagte, dass er wirklich glücklich war.
»Also, wirst du es tun?«
»Was tun?«
Daniel bewegte sich und hatte jetzt nur noch ein Knie am Boden.
»Was zum Teufel treibst du da?«
»Grace Divine, wenn dieser ganze Mist vorbei ist, wir das College hinter uns haben und du mal eine Weile keine bösen Jungs jagst – wirst du mich dann heiraten?«
Er hätte mir genauso gut einen Tritt in den Brustkorb versetzen können, denn ich bekam plötzlich keine Luft mehr und mein Herz hatte anscheinend aufgehört zu schlagen. »Das ist doch nicht dein Ernst?!«
»Ich meine es so ernst wie sonst auch immer.«
Unfähig zu antworten, ließ ich meinen Kopf auf den Zementfußboden sinken. Was dachte er sich dabei? Wie konnte er mich bitten, ihm ein Versprechen für die Zukunftzu geben, wenn wir gar keine Zukunft hatten? Wusste er nicht, dass es mir dabei das Herz zerriss?
»Ja«, gab ich schließlich flüsternd zurück. Obwohl ich wusste, dass wir niemals heiraten würden, wollte ich ihn glücklich sehen – wenn auch nur für einen Augenblick.
Ich rollte mich auf die Seite und schloss die Augen. Ich konzentrierte mich darauf, nicht wieder einzuschlafen. Ich wollte nicht wieder von einem Entkommen träumen, mir nicht vorstellen, wie mein Leben über die nächsten paar Stunden hinaus aussehen könnte. Stattdessen malte ich mir aus, wie Daniel nach Trenton ging, danach seine eigene Wohnung bezog und als Designer arbeitete.
Ich würde hier nicht herauskommen, doch ich würde alles tun, damit Daniel es schaffte. Vielleicht konnte ich genügend Verwirrung stiften, um Daniel die Flucht zu ermöglichen. Vielleicht ließe sich Caleb von meiner Entscheidung zu sterben so ablenken, dass Daniel entkommen konnte. Vielleicht konnten wir auch jemanden bestechen, uns zu helfen – wenn wir doch nur etwas gehabt hätten, mit dem wir ihn bestechen konnten!
Ich streckte meine Hand nach Daniel aus, konnte ihn aber noch immer nicht berühren. »Wirst du mir etwas versprechen? Ein richtiges Versprechen. Nicht so eins, das gebrochen wird.«
»Okay«, erwiderte Daniel zögernd.
»Versprich mir, dass du fliehst, wenn sich die Chance bietet. Egal, was sonst geschieht.«
»Ich werde dich unter keinen Umständen hier zurücklassen.«
»Aber was, wenn es schon zu spät für mich ist?«
»Das wird nicht passieren.«
»Aber was, wenn doch? Wenn es zu spät für mich ist, du aber eine Chance hast – versprichst du mir, so schnell wie möglich von hier wegzulaufen? Du wirst nicht zögern oder dich umdrehen, okay? Du gehst zu meiner Familie und bringst sie an einen sicheren Ort, ja?«
»Ja, gut«, sagte Daniel. »Aber nur …«
Ein lautes schepperndes Geräusch unterbrach ihn und die Tür wurde geöffnet.
Acht von
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