Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)
sollen.
KAPITEL 3
Am Ende der Kräfte
Morgen
Ich war nicht überrascht, als Daniel am nächsten Morgen verschwunden war. Freitags arbeitete er vor der Schule immer ganz früh im Day’s Market. Ich war mir sicher, dass er nach der Nacht auf dem Autorücksitz wahrscheinlich ziemlich fertig war.
Debbie Lambson, die Dad stundenweise als Haushaltshilfe engagiert hatte, damit sie auf James – und meine Mutter – aufpassen konnte, während Charity und ich in der Schule waren, machte schon das Frühstück, als ich herunterkam. Ich schnappte mir ein paar ihrer Muffins von der Arbeitsplatte und machte mich auf den Weg zum Drive-in vom Coffeeshop. Ich kaufte zwei Kaffee zum Mitnehmen und fuhr auf dem kürzesten Weg zum Day’s Market, in der Hoffnung, Daniel noch vor der Schule abfangen zu können.
Schon bevor ich die Polizeiabsperrung an der Einfahrt zum Parkplatz hinter dem Supermarkt entdeckte, wusste ich, dass irgendetwas nicht stimmte. Der Wagen des Sheriffs parkte vor dem Laden. Das normalerweise über der Glastür flackernde OPEN-Neonschild war dunkel und eine kleine Gruppe potenzieller Kunden stand gestikulierend ein paar Meter neben dem Geschäft.
Die Anspannung verursachte mir ein Kribbeln unterder Haut, als ich hinter dem Streifenwagen anhielt. Ich musste sofort an den etwas weniger als zehn Monate zurückliegenden Abend denken, als sich hier eine ganz ähnliche Szene abgespielt hatte. An eben jenen schrecklichen Abend, an dem ich Daniel beinahe verloren hätte.
Die Narbe an meinem Arm loderte auf und meine Kräfte kribbelten in den schmerzenden Muskeln. Ich griff nach dem Mondstein und schüttelte diese schrecklichen Erinnerungen ab. Jetzt war ich mit einem weitaus dringenderen Problem konfrontiert.
Ich ließ die Tragevorrichtung mit den Kaffeebechern im Wagen zurück und eilte zum Ladeneingang. Besonders seltsam fand ich, wie sauber das Glas der Vordertür aussah. Allerdings nur, bis mir klar wurde, dass die Scheibe fehlte. Direkt am Eingang lagen haufenweise Glasscherben verstreut. Ich zögerte einen Augenblick, da ich nicht wusste, ob ich hineingehen durfte. Doch da mich niemand aufzuhalten versuchte, trat ich ein. Ich hörte Stimmen nahe den Kassen – beziehungsweise dort, wo die Kassen hätten stehen sollen. Eine war auf den Boden geworfen worden, die anderen zwei waren anscheinend gänzlich verschwunden. Mr. Day saß zusammengesackt auf einem Stuhl und redete mit Chris Tripton, einem der anderen früh morgens arbeitenden Angestellten. Daniel stand mit einem Besen gleich in der Nähe.
Es sah aus, als wäre der Day’s Market das Epizentrum eines Erdbebens gewesen, das irgendwie den Rest der Stadt verschont hatte. Die meisten Regale lagen wie riesige umgestürzte Dominosteine halb aufeinander, und überden ganzen Laden war demolierte Ware verteilt. An einigen Stellen auf dem Fußboden sickerte Suppe aus zerbrochenen Konservendosen. Basketballgroße Löcher verunstalteten die Wände und der Halloween-Reklameständer mitten im Geschäft sah aus, als wäre jemand mit dem Bulldozer darübergefahren.
»Was ist passiert?«, fragte ich Daniel, als er mich endlich entdeckte. »Sieht aus, als wäre hier ein Hurrikan durchgejagt.«
»Das hätte auch keinen Unterschied gemacht.« Daniel stützte sich auf seinem Besen ab. »Irgendwer hat den Laden letzte Nacht geplündert. Sie haben die Kassen leer gemacht, den Tresor aus der Wand im Büro gerissen und alles andere demoliert.«
»Du meine Güte«, murmelte ich.
Stacey Canova gesellte sich mit einem leeren Karton in den Armen zu uns. »Das Komische ist nur«, sagte sie, »dass sie zwar alles zerstört, aber jede einzelne Chipstüte und jede Bierdose haben mitgehen lassen.«
»Wie bitte? Glaubt der Sheriff, dass es vielleicht Teenager waren?«, fragte ich sie.
»Nur, wenn es heutzutage Teenager mit Superkräften gibt«, sagte eine Stimme hinter mir.
Ich drehte mich zu Mr. Day herum. »Was haben Sie gesagt?« Ich wurde rot und verschränkte die Arme hinter dem Rücken, als hätte ich etwas zu verbergen.
»Wer immer das getan hat, musste superschnell und stark wie ein Ochse sein. Man bräuchte einen Gabelstapler, um die Regale in den Gängen hier umzuwerfen.Und alles geschah innerhalb weniger Minuten. Ich hab gestern Abend abgeschlossen und war schon auf dem Heimweg. Ein paar Blocks weiter fiel mir auf, dass ich meinen Garagenschlüssel im Büro vergessen hatte. Ich bin umgekehrt, kam zum Laden zurück und fand alles so vor. Ich war höchsten fünf
Weitere Kostenlose Bücher