Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)
wolltest,dass ich dich ins Krankenhaus bringe. Bestimmt hast du eine Infektion.«
»Ich war im Krankenhaus. Ich wurde genäht, das beweist es. Wahrscheinlich hab ich mir irgend ’nen Virus eingefangen, während ich dort war.«
»Oh.« Plötzlich kam es mir vor, als ob er mir die Schuld an seiner Krankheit gab. »Ich könnte dir etwas Suppe vorbeibringen. Ich bin in ein paar Minuten bei dir.«
»Nein«, erwiderte er etwas zu heftig. »Lass mich in Ruhe.«
»Wie bitte?« Meine Stimme blieb mir fast im Hals stecken.
Daniel seufzte. »Tut mir leid. Ich weiß nicht, was … Ich weiß nicht, ob ich vielleicht ansteckend bin. Bleib besser weg, okay?«
»Aber du hast niemanden, der sich um dich kümmern kann«, wand ich ein. »Wann bist du überhaupt das letzte Mal krank gewesen?«
Das ist einer der wenigen Vorteile, wenn man ein Urbat ist: Ich hatte in den letzten zehn Monaten noch nicht einmal einen Schnupfen gehabt. Daniel war während der letzten achtzehn Jahre wahrscheinlich nicht einen einzigen Tag krank gewesen. Doch mittlerweile konnte eine ganz normale Erkältung ihn komplett umhauen.
»Ich kann schon auf mich selbst aufpassen«, sagte er.
Ich seufzte. »Bitte sag mir, dass du mir nicht absichtlich aus dem Weg gehst. Bist du noch sauer wegen der Sache mit Pete?«
»Nein, Gracie«, antwortete er. »Ich bin deswegen niesauer gewesen. Ich habe nur das Gefühl, dass ich den ganzen Tag schlafen möchte. Und du weißt, dass du gar nicht in meiner Wohnung sein sollst. Ich meine, wie könntest du mir jetzt überhaupt helfen?«
Ich fühlte mich wegen der Geschehnisse am Abend zuvor noch immer ganz mies. Es machte die Sache nur schlimmer, dass er meine Hilfe jetzt ablehnte. Doch wenn er es unbedingt so haben wollte, würde ich ganz bestimmt nicht in sein Refugium hineinplatzen. »In Ordnung. Aber ruf mich an, wenn du irgendwas brauchst.«
»Jepp. Okay. Bis dann.«
»Ach, ich wollte dir noch was sagen …«, setzte ich an, doch Daniel hatte schon aufgelegt. Ich dachte daran, ihn noch einmal anzurufen und ihm von meinem Plan zu erzählen, aber da er jetzt nun mal krank war, wollte ich nicht, dass er sich verpflichtet fühlte, mir beizustehen.
Ich mochte vielleicht nicht in der Lage gewesen sein, Daniels Verletzung zu verhindern, und war auch jetzt nicht fähig, ihm irgendwie zu helfen, doch ich war es leid, untätig herumzustehen. Ich musste irgendetwas tun, bevor ich verrückt wurde. Ich hatte mein Handy in den Rucksack gestopft, den Wagen an der nächsten Ampel gewendet und war zu dem Ort gefahren, wo ich mich nun befand.
Ich verspürte Beklommenheit, als ich jetzt vor dieser Tür stand. Aber dieses Gefühl würde mich nicht davon abhalten, meine Antworten zu bekommen. Immerhin waren wir mal die besten Freundinnen gewesen. Was könnte sie schlimmstenfalls tun? Mir die Tür vor der Nase zuknallen?Ich klopfte und wartete fast eine ganze Minute, bevor sich die Tür öffnete.
»Hallo«, sagte ich.
April sah mich einen langen Moment an, als würde sie tatsächlich erwägen, die Tür einfach wieder zuzumachen. Doch dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und sagte: »Hey.« Ein paar Sekunden später: »Was willst du?«
»Jude«, sagte ich. »Ich muss ihn finden. Und ich glaube, du weißt, wo er ist.«
Ein paar Minuten später, in Aprils Zimmer
»Du weißt doch, wo er ist, oder?«, fragte ich, sobald April die Zimmertür hinter uns geschlossen hatte.
Sie warf einen Blick zum Computer auf ihrem Schreibtisch und sah dann wieder mich an. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Ich weiß nichts über Judes Rückkehr.«
»Und woher weißt du dann, dass er zurück ist?«
»Weil …« Ihr Blick driftete wieder in Richtung Computer.
»Du hast meine Unterhaltung mit Daniel gestern Morgen mitgekriegt, stimmt’s?«
April blickte auf ihre Hände.
Das war genau die Sache, die mir den ganzen Morgen durch den Kopf gegangen war. Die Art und Weise, wie April sich am Tag zuvor verhalten hatte. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie zugehört hatte, als ich mit Danielüber Judes Wiederauftauchen gesprochen hatte. Sie hatte kaum überrascht gewirkt. Danach war es mir so vorgekommen, als ob sie mir etwas Wichtiges sagen wollte und es sich dann anders überlegt hatte. Nun versuchte sie anscheinend, dieses wichtige Etwas vor mir zu verbergen.
»Jude hat mich aus Daniels Wohnung angerufen. Er war vor zwei Tagen abends hier in Rose Crest. Aber das wusstest du bereits, oder?«
»Er hat dich angerufen?« April
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