Urbat - Der verlorene Bruder: Roman (German Edition)
Menschen sich niemals wirklich ändern.« April stierte weiter aus dem Fensterund ich fragte mich, ob ihre Mutter damit auf Aprils Vater anspielte, der sie vor ein paar Jahren verlassen hatte.
»Wenn du das wirklich glauben würdest, dann wärst du nicht mit mir mitgekommen, um nach Jude zu suchen.«
»Wahrscheinlich nicht.« Für eine Weile sagte sie nichts. »Aber ich glaube noch immer nicht, dass du Daniel so sehr vertrauen solltest, wie du es machst.«
»Hmm«, gab ich zurück und ließ die Stille den Raum zwischen uns ausfüllen.
Eine Zeit lang hatte ich an diesem Abend gedacht, dass wir wieder Freundinnen wären. Ich hatte es vermisst, wie April und ich Witze machten, die Art vermisst, wie sie den Jungs nachgeiferte und sich fast die ganze Zeit wie ein aufgeregtes Hündchen benahm. Da mich erstens in der Schule alle behandelten wie ein Paar alte Sportsocken, zweitens Mom im Hotel ›Fremde Wirklichkeit‹ eingecheckt hatte, drittens Dad die ganze Zeit unterwegs war, und ich viertens versuchte, Charity, so gut es ging, über die Tatsachen im Dunkeln zu lassen, kam es mir vor, als gäbe es niemanden, mit dem ich hätte reden können, wenn Daniel nicht in der Nähe war. Ich kam ganz gut damit klar, wenn mich die Leute seltsam anstarrten und hinter meinem Rücken flüsterten, doch ich hasste die Stille, die so viele Stunden meines Tages ausfüllte. Nicht, dass es völlig still war, insbesondere dann nicht, wenn mein Supergehör einsetzte – es war nur einfach so, dass in letzter Zeit sehr wenige Leute mit mir statt über mich sprachen.
Und ich vermisste meine beste Freundin.
Wir waren ungefähr zehn Minuten aus der Innenstadtheraus, als ich beschloss, das Schweigen zu brechen. Ich wollte keine Stille mehr. »Die beiden Typen waren echt eklig, oder? Ich kann gar nicht glauben, was passiert ist.«
April wurde gleich wieder munter. »Mann, das war total irre, wie du dem Kerl einen Tritt verpasst hast! Claire und Miya würden es niemals glauben … aber ich würde ihnen sowieso nichts davon sagen. Ich meine, die Leute würden ausflippen, wenn wir ihnen erzählten, dass wir im Depot waren.« Sie grinste mich an und schien damit unser Geheimnis zu besiegeln. Mir wurde gleich viel leichter ums Herz.
»Wo hast du das gelernt?«, fragte sie.
»Ich habe mit Daniel trainiert.«
»Trainiert? Wofür?«
Plötzlich geriet ich wieder in düstere Stimmung, als mir klar wurde, dass April vielleicht die Wahrheit über Daniel und Jude kannte, jedoch nicht über mich. Sie wusste nicht, dass auch ich mit einem Fluch belegt war, der mich möglicherweise in ein Monster verwandeln konnte. Und ich wusste nicht, ob ich ihr die Wahrheit verraten sollte. Es wäre wohl nur schwer zu verdauen. Und was wäre, wenn die Wahrheit sie gleich wieder verschreckte, wo ich doch gerade erst dabei war, meine beste Freundin zurückzubekommen?
Doch dann erinnerte ich mich, dass April mir vorgeworfen hatte, ich hätte sie unterschätzt. Tatsächlich war sie heute Abend mit mir gekommen, obwohl sie wusste, wie gefährlich Jude womöglich sein konnte. Ein Teil meines Herzens schmerzte noch immer, weil sie sich imletzten Jahr von mir abgewandt hatte. Aber vielleicht wäre das alles ja gar nicht passiert, wenn ich gleich, als Daniel nach Hause gekommen war, ehrlich zu ihr gewesen wäre.
Ich hielt vor einer weiteren roten Ampel und stellte die Schaltung in Parkposition. Es war an der Zeit, den Schleier zu lüften. »Ich muss dir etwas zeigen.« Ich krempelte meinen Ärmel bis zur Schulter auf und entblößte die halbmondförmige Narbe auf meinem Oberarm.
»Was ist das?« Aprils Gesicht wurde weiß. »Wurdest du … Wurdest du …?«
»Gebissen.«
»Du lieber Gott. Daniel hat dich gebissen? Wie kannst du dann noch …?
»Daniel hat mich nicht gebissen. Es war Jude. Er hat mich angegriffen, gleich nachdem er sich in einen Werwolf verwandelt hat.«
April sah weg. Sie spielte mit einer der Pailletten an ihrem Top. »Was hat das zu bedeuten? Du bist doch jetzt kein Werwolf, oder?«
»Nein. Ich wurde mit dem Fluch infiziert, aber ich bin noch kein Wolf. Und werde es auch nie sein, solange Daniel und ich was dagegen tun können. Er trainiert mich, damit ich meine Kräfte einsetzen kann, um anderen Menschen zu helfen. Aber ja, trotzdem besteht das Risiko, dass ich mich in ein Monster verwandle.«
Hinter uns fing ein Wagen an zu hupen und ich fuhr weiter. Ich suchte in Aprils Gesicht nach einer Reaktion und fürchtete, dass sie jetzt, da sie die
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