Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
an; irgendetwas zischte seltsamerweise am Boden des Bechers. »Wir könnten ’ne nette Zeit miteinander verbringen, wenn du dich alleingelassen fühlst.«
Ich winkte ab. »Danke, ich wollte gerade gehen.«
»Das denkst aber auch nur du.« Er fuhr seinen Arm aus und blockierte meinen Weg. »Die Party fängt gerade erst an.« Er versuchte, mir die Hand mit dem Becher irgendwohin zu legen, wo sie bestimmt nicht hingehörte.
Ich tauchte unter seinem Arm und durch die Menge hindurch auf die Tür zu. Das grünhaarige Mädchen stakste in der Türöffnung herum. Es raunzte mir irgendein Schimpfwort zu, als ich mich an ihm vorbeischob. Ich lief die Treppen hinunter und aus dem Gebäude hinaus. Am Ausgang achtete ich auf die Geräusche, und als ich jemanden die Stahltreppe runterkommen hörte, sauste ich über die Markham Street.
Das Glück musste sich gewendet haben, denn als ich ans Ende des Blocks kam, hielt gerade ein Bus am Straßenrand, der in meine Richtung fuhr. Als sich die Türen öffneten, sprang ich die Stufen hoch und betete, dass ich genügend Fahrgeld hatte. Der Fahrer grummelte vor sichhin, als ich mein Kleingeld abzählte, doch ich hatte genug, sogar noch fünfunddreißig Cents übrig.
Der Bus war fast leer, bis auf ein paar grauhaarige Männer, die sich in einer Sprache unterhielten, die an Mishkas Akzent erinnerte, sowie einem Typen Mitte vierzig mit Brillengläsern so dick wie Glasbausteinen, der eine Babypuppe in den Armen wiegte und mit dunkler, väterlicher Stimme leise auf sie einsang. Ich wählte einen Platz ganz hinten und zog die Beine schützend an die Brust. Der Bus schlingerte und holperte, und ein schwacher Uringeruch lag in der Luft, doch ich fühlte mich hier sicherer als im Korridor des Apartments.
Ich konnte nicht fassen, dass Daniel mich wegen dieser Leute sitzen gelassen hatte, konnte nicht fassen, dass ich überhaupt mit ihm in diese Wohnung gegangen war. Was wäre wohl passiert, wenn die Party nicht gewesen wäre? Doch hauptsächlich schämte ich mich, dass ein Teil von mir gewollt hatte, dass etwas passierte.
Und führe mich nicht in Versuchung.
Wieder daheim
Ich fuhr mit dem Bus weiter, bis er an einer Haltestelle nahe der Schule hielt. Mit dem restlichen Kleingeld rief ich April von einem Münztelefon an, doch sie antwortete nicht. Es war nicht schwer sich vorzustellen, wer ihre Zeit gerade in Anspruch nahm.
Ich zog meinen Mantel enger um mich und lief mitmeinen hohen Absätzen so schnell ich konnte nach Hause. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, der widerliche Typ von der Party würde mir folgen.
Ich schlüpfte ins Haus und hoffte, mich unbemerkt in mein Zimmer schleichen zu können, sodass ich so tun konnte, als läge ich schon seit Ewigkeiten im Bett. Doch Mom musste das leise Klicken des Türschlosses gehört haben, denn sie rief mich in die Küche, bevor es mir gelang, mich nach oben zu verdrücken.
»Wo warst du?«, fragte sie und klang dabei mehr als nur ein bisschen verärgert. Ich sah, wie sie dicke Brotscheiben abschnitt, damit sie über Nacht für die Truthahnfüllung austrockneten. »Du solltest doch nach der Trauerfeier beim Auftragen des Essens helfen.« Anscheinend war der Abend für sie noch nicht weit genug fortgeschritten, um sich um meine Sicherheit zu sorgen, doch andererseits hatte sie lange genug gewartet, um sich über meine Abwesenheit zu ärgern.
»Ich weiß«, grummelte ich. »Es tut mir leid.«
»Erst verschwindest du, und dann Jude.« Sie nahm eine weitere Brotscheibe und vergrub ihre Finger darin. »Weißt du eigentlich, welchen Eindruck das macht, wenn die halbe Familie beim Essen fehlt? Und dein Vater hat sich beim Wegräumen der Stühle fast den Rücken verrenkt, während ihr beide euch mit euren Freunden amüsiert habt.«
»Es tut mir leid. Ich mach’s wieder gut.« Ich wandte mich ab, um die Küche zu verlassen.
»Das wirst du ganz bestimmt. Es kommen morgenmindestens zwanzig Leute zu Thanksgiving. Du backst die Kuchen und danach schrubbst du die Fußböden. Dein Bruder wird auch seine Aufgaben bekommen.«
Da ich ohnehin schon in Schwierigkeiten steckte, überlegte ich kurz, die Chemieprüfung zu erwähnen, die ich mir noch abzeichnen lassen musste, entschloss mich dann aber, es nicht zu weit zu treiben. Mom konnte bei der Verteilung der Hausarbeit ganz schön pingelig werden, wenn sie gereizt war. »Okay«, sagte ich. »Das klingt fair.«
»Stell deinen Wecker auf viertel vor sechs«, rief Mom mir hinterher, als ich
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