Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
das heutige Thanksgiving-Mahl alle anderen Abendessen übertreffen würde.
Um die Abwesenheit von gestern wieder auszubügeln, beschloss ich, früh loszulegen, und schlüpfte aus dem Bett. Die Schläfrigkeit in meinem Gehirn verschwand in der Sekunde, in der ich die Füße auf den eiskalten Holzboden setzte. Ich huschte zum Wandschrank hinüber, zog mir Pantoffeln und Morgenmantel an und begab mich nach unten.
Mom hatte zwei Tische aus dem Gemeinschaftsraum der Pfarrkirche so zusammengestellt, dass sie aus dem Esszimmer in den Eingangsbereich hinausragten. Sie waren mit gebügelten Leinendecken in der Farbe von Ahornblättern geschmückt, und Mom deckte den Tisch gerade für mindestens fünfundzwanzig Personen mit ihrem besten Porzellan und Kristallgläsern ein. Anstatt der üblichen Pilger aus Pappmachee, die ich für Mom mit neun Jahren gebastelthatte, verschönten festliche Blumenarrangements und Kerzen die Tafel.
»Sieht toll aus«, sagte ich, als ich auf der letzten Stufe stand.
Mom ließ vor Schreck beinahe einen Teller fallen. Dann beruhigte sie sich wieder und stellte den Teller auf den Tisch. »Hmm … Ich brauche dich eigentlich erst um viertel vor sechs fürs Kuchenbacken.« Offensichtlich war mir noch nicht alles vergeben worden.
Ich seufzte. »Ich war ohnehin schon wach.« Ich rieb meine Hände aneinander. »Du könntest aber schon mal die Heizung aufdrehen.«
»Es wird schon warm genug werden, wenn die Backöfen erst mal laufen und sich das Haus mit Gästen füllt. Das wird dieses Jahr ein ganz schönes Gedränge geben. Ich mache zwei Truthähne.« Während sie sprach, verteilte sie das Silberbesteck auf dem Tisch. »Doch das heißt, dass die Kuchen spätestens um acht fertig sein müssen. Ich habe Füllung für zwei von deinen Apfel-Karamell-Torten gekauft und ein paar eingelegte Kürbisse. Dein Dad wird seine berühmten Hörnchen machen, also müssen wir genau planen.«
»Gott sei Dank haben wir zwei Öfen.«
»Wie ich schon sagte, es wird hier ordentlich warm werden.«
»Können wir denn die Heizung nicht mal für zwei Minuten aufdrehen?« Ich schaute durch die Küchengardine und war überrascht, dass der Rasen vor dem Haus noch immer unberührt dalag und nicht von Schnee bedecktwar. »Hast du keine Angst, dass James vielleicht erfriert oder so?«
Beinahe hätte ich Mom zum Lachen gebracht.
» So
kalt ist es nun auch wieder nicht.« Sie kam zu mir und gab mir einen Klaps. »Achte drauf, dass du früh genug mit den Kuchen anfängst. Und wenn dir so kalt ist, kannst du Jude beim Aufräumen des Lagerraums helfen. Da kommst du bestimmt ins Schwitzen.«
»Der Lagerraum??«
»Vielleicht möchte sich jemand unser Haus ansehen.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Du musst ihnen doch nicht den Lagerraum zeigen.«
Mom zuckte mit den Achseln. »Jude ist vor einer Stunde aufgestanden, um seine Strafe hinter sich zu bringen, und wir beide wissen, dass dein Vater der einzige Mann in der Familie ist, der kochen kann.«
»Oh.« Ich machte mir nicht die Mühe zu erwähnen, dass sie auch Jude zum Tischdecken hätte verdonnern können, denn jetzt war sie dabei, die Blumengestecke in der Mitte so zu arrangieren, dass sie exakt gleich weit voneinander entfernt lagen. »Kommt April denn noch?«
»Ja. Hat sie es dir nicht gesagt?« Mom beschenkte mich mit einem inquisitorischen Blick.
»Anscheinend spricht sie in letzter Zeit mehr mit Jude als mit mir.« Ich wusste, dass es ziemlich kleinlich war, mich über April und Jude zu ärgern, weil sie so viel zusammen waren, aber ich konnte nichts dagegen tun.
Mom rümpfte die Nase. »Das erklärt vermutlich, wieso er in letzter Zeit so besorgt schien.«
Sie schnalzte mit der Zunge.
»Vermutlich«, sagte ich und spielte am Kragen meines Morgenmantels herum. »April ist ein guter Mensch.«
»Das ist sie bestimmt«, gab Mom zurück und glättete die Falten an einer der Leinenservietten. »Das ist sie bestimmt.«
»Hm, ich zieh mir jetzt mal was über und fange in der Küche an.«
»Das wäre schön«, murmelte sie und fing an, die Kristallgläser zurechtzurücken.
Kuchen
Mom hatte Recht gehabt: Im Laufe des Vormittags wurde es ganz schön heiß im Haus. Es begann damit, dass Dad zu verstehen gab, er habe keine Ahnung davon gehabt, dass er seine berühmten Hörnchen für das Festmahl zubereiten solle.
»Du hast mich überhaupt nicht gefragt«, sagte Dad, nachdem Mom ihn in schnippischem Ton darauf hingewiesen hatte, dass er den Teig schon vor einer
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