Urbat: Die dunkle GabeRoman (German Edition)
bisschen Lesen vor dem Schlafengehen konnte ja sicher nicht schaden, oder?
Liebe Katherine,
ich bin zunehmend davon überzeugt, daß Alexius’ Geschichten von den Hunden des Todes nicht nur Mythen sind. Ich möchte so viel wie möglich über dieses Phänomen festhalten.
Vater Miguel sagt, ich sei besessen. Doch ich fürchte, daß Besessenheit eher auf ihn zutrifft. Er hat zahlreiche unserer Mitstreiter davon überzeugt, die Griechen für ihre Morde und ihren Betrug zu bestrafen. Selbst viele der Tempelritter und Johanniter lauschen mittlerweile seinen aufrührerischen Worten. Alexius ’ Geschichten sind eine willkommene Abwechslung zu all diesen Verschwörungen und Beeinflussungen.
Alexius brachte mich zu einem blinden Propheten, der mir mehr über diese Sache erzählte. Während einige der Urbats, wie er sie nennt, mit dem wölfischen Wesen zur Welt kommen, so können andere dadurch entstehen, daß sie von lebenden Urbats gebissen werden – so wie bei einer schrecklichen Plage, die sich ausbreitet.
Es mag sogar sein, daß ein durch Ansteckung erschaffener Urbat noch eher als ein so geborener für den Einfluß der wölfischen Kräfte empfänglich ist. Der Fluch kann sich bei einem Infizierten außerdem viel schneller ausbreiten, wenn er nicht wachsam genug ist, seine Emotionen zu beherrschen …
Daniel hatte nicht erwähnt, dass sein Wolfszustand ansteckend sein konnte. Ich konnte kaum mehr glauben, dass ich tatsächlich gewollt hatte, so wie er zu sein. Jetztdrehten sich meine Gedanken wie wild, als mir klar wurde, dass es ganz einfach durch einen Biss seiner Zähne hätte geschehen können – fast so einfach wie ein Kuss.
Ich sah auf meine Hände und stellte mir vor, wie sie von zottigem Fell bedeckt wurden. Meine Fingernägel schienen zu wachsen und sich in spitze Klauen zu verwandeln, die rohes Fleisch von Knochen reißen konnten. Mein Mund fühlte sich plötzlich an, als sei er mit rasiermesserscharfen Zähnen, mit langen gefährlichen Hauern ausgestattet. Wie sähe mein Gesicht wohl mit einer langen Schnauze aus? Was wäre, wenn meine Augen ganz schwarz und glanzlos würden und nur das Licht um mich herum reflektierten?
Was wäre, wenn auch ich mich in ein Monster verwandelte?
Ich schauderte und presste meine Hände vors Gesicht. Meine Haut war noch immer weich und unbehaart. Ich war noch immer ein Mensch.
Ich nahm das Buch wieder in die Hand und hoffte, Trost oder Antworten zu finden. Doch der Brief setzte sich über mehrere Seiten fort und beschrieb überwiegend, wie die Hunde des Todes entstanden waren, wie ihr Segen zu ihrem Fluch geworden war. Es war eine Bestätigung dessen, was Daniel und mein Vater mir erzählt hatten, doch es verriet mir nichts Neues. Ich überflog die Seiten, bis ich an eine Stelle kam, wo die Mondsteine erwähnt wurden.
Es ist seltsam, liebe Katherine, aber der blinde Mann sagt, daß es den Urbats in einer Vollmondnacht noch viel schwerer fällt, ihre wölfischen Anteile zu kontrollieren. Als hätte der Mond selbst Macht über sie. Daher glaube ich, daß es einen Weg gibt, diese Kreaturen zu beherrschen. Wenn ein Urbat vielleicht einen kleinen Teil des Mondes dicht an seinem Körper hätte, könnte es den Einflüssen des großen Mondes entgegenwirken und ihm helfen, den Wolf unter Kontrolle zu halten und trotzdem seine sagenhaften Kräfte zu bewahren. So wie schon die alten Griechen Krankheiten behandelten, indem sie glaubten, das Gleiches mit Gleichem geheilt werden könne.
Ich habe Geschichten von Steinen gehört, die in feuriger Pracht vom Himmel fallen. Was wäre, wenn solch ein Stein vom Mond selbst gefallen käme? Wenn es mir gelänge, ein Halsband von einem der Mondsteine zu fertigen – sofern denn einer zu finden wäre – , könnte ich den Hunden des Todes vielleicht helfen, ihren Segen zurückzugewinnen.
Gleichwohl wäre solch ein Halsband keine Heilung. Es könnte nur der Kontrolle dienen. Ich fürchte, diese Urbats haben ihre Seele in den Klauen des Wolfes verloren, und wenn sie nicht vor ihrem Tode erlöst werden, so sind sie als Dämonen des dunklen Prinzen in die tiefste Hölle verbannt.
Meine Augen waren auf einmal gar nicht mehr schwer und müde.
Ich hatte nicht bedacht, was Daniel vielleicht widerfahren könnte, wenn er stürbe. Würde er tatsächlich für alleZeiten zu einem Leben als Dämon in der Hölle verdammt sein? Kein Wunder, dass er so verzweifelt nach einer Heilung suchte. Es war eine Sache, mit einem Monster im
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