Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
hatte. »Aber ich möchte ins Haus gehen. Ich kann diese Menschen nicht ertragen.«
Der Mondstein pulsierte in meiner Hemdtasche, während April mir den Rücken tätschelte. Es fühlte sich so beruhigend an – die erste richtige Umarmung des Tages – und zum ersten Mal heute Abend fühlte ich mich nicht mehr so allein.
»Sie sind gekommen, weil es ihnen wichtig ist.«
Ich drehte den Kopf und blickte über die Einfahrt. Mittlerweile hatte sich die ganze Nachbarschaft auf unserem Rasen versammelt, abgesehen von ein paar Leuten, die noch auf der Straße standen. Es erinnerte mich an den Tag, an dem James verschwunden war. Damals war die ganze Gemeinde aufgetaucht und hatte dabei geholfen, nach einem ihrer Mitglieder zu suchen.
In diesem Moment wurde mir klar, dass der Wolf in meinem Kopf unrecht hatte. Mein Dad gehörte auch zu diesen Menschen. Er war auch ihr Vater – ihr Pastor. Es war ihr gutes Recht zu denken, dass er zu ihnen gehörte. Und sie hatten auch das Recht, besorgt zu sein. Wenn sie ein Rudel Werwölfe gewesen wären, dann wäre Dad ihr Alpha.
Aber nein, sie waren vielmehr eine Schafherde ohne ihren Hirten.
Ich nahm all meine Kraft zusammen und ließ April los. Dann drehte ich mich wieder zu meinen Nachbarn um. »Vielen Dank für Ihre Anteilnahme«, sagte ich und war bemüht, Dads autoritäre und gleichermaßen beruhigende Stimme zu kopieren. »Ich bin wirklich tief berührt angesichts der Wertschätzung, die Sie für meinen Vater zeigen. Sein Zustand ist noch immer kritisch, aber seit einigen Stunden geht es ihm besser. Sobald ich Neues weiß, werden auch Sie davon erfahren.«
Sofort wurde ich mit einer Reihe von Fragen zu den Ereignissen bombardiert, und erzählte ihnen dieselbe Geschichte, die ich in der Notaufnahme auch der Polizei berichtet hatte: Mein Vater habe einen neuen Standort für das Obdachlosenheim in der Innenstadt besichtigen wollen, doch ich wüsste nicht, was die Explosion verursacht habe.
Weitere Fragen folgten, und schließlich boten mir drei meiner Nachbarn sogar an, uns das Abendessen vorbeizubringen.
»Vielen Dank für Ihr Angebot«, sagte ich. »Dennoch glaube ich, dass jemand anderes in der Gemeinde Ihre Hilfe besser gebrauchen kann als ich. Ich war gerade im Krankenhaus, als Pete Bradshaw leider gestorben ist.«
April sowie ein paar andere in der Menge stöhnten auf.
»Seine Mutter wird Ihre Liebe und Zuwendung jetzt nötiger haben als ich. Bitte kümmern Sie sich um sie.« Ich wusste, dass mein Vater es so gewollt hätte. Pete hatte zwar einige Probleme gehabt, doch seine Mutter hatte es nicht verdient, ihren einzigen Sohn zu verlieren.
Ich dankte noch einmal allen Anwesenden und drehte mich zum Haus. April folgte mir die restlichen Stufen hinauf. Wir gingen hinein, und als ich die Tür hinter uns schloss, sah ich ein paar unserer Nachbarn die Straße in Richtung Rose Drive hinuntergehen, wo Ann Bradshaw wohnte.
»Du hast ja fast wie ein Pastor geklungen«, sagte April. »Vielleicht ist das ja deine berufliche Zukunft.«
»Das bezweifle ich«, gab ich murmelnd zurück.
»Ich aber keineswegs«, erklang Gabriels Stimme aus der Küche. Ich blickte in den Flur und sah, wie er sich von seinem Stuhl am Tisch erhob. »Und diese Zukunft kommt vielleicht schneller, als du denkst.« Er legte ein Skizzenbuch auf den Tisch zurück und sah mich an. »Wir müssen uns unterhalten, Grace.«
Fünf Minuten später
So, als habe Gabriel sie instruiert, brach April kurz danach auf. Ich wusste genau, wo sie hinwollte.
»Ist jetzt jemand bei Jude?«, fragte ich.
»Ich habe Ryan und Zach zu ihm geschickt.«
»Weiß er es?«
»Er weiß, dass es irgendeinen Unfall gegeben hat, aber ich habe den anderen eingeschärft, ihm keine Einzelheiten zu verraten.«
Erleichtert seufzte ich auf, wusste allerdings sofort, was getan werden musste. »Du solltest es ihm sagen. Aber schick Ryan und Zach nicht weg, falls … Ich weiß nicht, wie er reagieren wird.«
Eigentlich sollte ich diejenige sein, die meinen Bruder über die Geschehnisse informierte, aber ich konnte es einfach nicht. Was wäre, wenn er gar nicht reagierte? Was wäre, wenn es ihm egal war? Das hätte ich auf keinen Fall ertragen können.
Und außerdem habe ich jetzt etwas weitaus Wichtigeres zu tun , dachte ich, als ich den Mondstein in meiner Tasche befühlte und mich versicherte, dass er immer noch da war.
Als April zur Tür hinausging, winkte mich Gabriel zu sich an den Tisch. Das Skizzenbuch lag vor ihm, und er hielt
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