Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
fantastischen Skulpturen im Garten der Engel erschaffen hatten. »Darf ich?« Ich fasste nach dem Skizzenbuch, um mir seine Arbeiten näher anzusehen.
Gabriel nickte und schob das Buch zu mir hinüber. Er sagte kein Wort, während ich die Seiten durchblätterte. Die Zeichnungen zeigten immer wieder das Gesicht derselben Frau. Sie hielten etwas fest, das über ihre Schönheit hinausging, irgendetwas in ihren Augen. Als hätte sie große Schmerzen, ohne es zeigen zu wollen. Ein schwaches Lächeln lag auf ihren Lippen, so als versuchte sie, trotz ihrer Ängste mutig zu sein.
»Wer ist sie? Deine Schwester?«
»Meine Frau.«
Ich sah zu ihm auf. Die blauen Flecken an seinem Kinn sahen noch immer empfindlich aus, schienen aber bei Weitem nicht so schmerzvoll wie der Ausdruck in seinen Augen – fast wie eine Spiegelung dessen, was die Frau in der Zeichnung fühlte.
»Du hast nie erwähnt, dass du eine Frau hast.«
»Ihr Name war Marie. Sie starb im Kindbett, vor vielen Jahrhunderten. Bevor ich ein Mönch wurde. Vor den Kreuzzügen. Bevor ich dem Fluch erlag.«
»Das tut mir leid«.
»Bevor sie starb, nahm sie mir das Versprechen ab, dass ich irgendwann zu ihr in den Himmel kommen würde. Deswegen bin ich Mönch geworden. Ich dachte, wenn ich mein Leben Gott weihte, würde ich die Reinheit erlangen können, um mein Versprechen einzuhalten. Aber offensichtlich ist mein Plan nicht aufgegangen. Als ich dem Fluch des Werwolfs verfiel, dachte ich, dass ich alles verloren hätte. Für eine Weile gab ich mein Versprechen auf. Du weißt, ich tat einige Dinge, die …«
Ich nickte und musste wieder an seine Schwester Katharine denken.
»Aber es war Marie, die mich zurückgeführt hat. Sie zeigte mir, dass sie mich noch nicht aufgegeben hat.«
»Wie das denn?«
»Die babylonische Priesterin – die Frau, die mir die Mondsteine gegeben hat – ich bin ihr nicht zufällig begegnet. Sie verriet mir, dass Maries Geist zu ihr gesprochen und ihr gesagt habe, was ich brauche. Sie sagte, dass Marie mich noch immer im Himmel erwarten würde. Und dass sie niemals aufhören würde, auf mich zu warten.«
Ich schnappte nach Luft.
»Diese Mondsteine haben mein Leben verändert. Ich verschrieb mich einem strikt gewaltlosen Weg. Seitdem versuche ich, meine schrecklichen Missetaten wiedergutzumachen.«
Ich fühlte mich schuldig, weil ich ihm bis jetzt noch nichts über meinen Mondstein erzählt hatte. Denn wenn er nicht gewesen wäre, hätte der Stein niemals existiert. »Aber trotzdem hast du dich im Lagerhaus für den Kampf entschieden?«
»Wie ich dir schon einmal gesagt habe, inspirierst du mich.« Er nahm das Skizzenbuch wieder an sich. Seine Finger streichelten über die Zeichnung seiner Marie. »Weißt du, erst als Daniel mir erzählte, was du für ihn getan hattest, fing ich wirklich an zu glauben, dass jemand wie ich vom Fluch des Wolfs befreit werden kann. Die Vorstellung von dir gab mir die Hoffnung, dass ich eines Tages mein Versprechen gegenüber Marie einlösen könnte. Und obwohl ich nach all diesen Jahrhunderten des Zweifels wirklich gern zu ihr zurückkommen wollte, hatte ich doch Angst davor, diese Hoffnung in meinem Herzen zu verankern. Deshalb kam ich hierher. Um dich persönlich kennenzulernen. Leider hatte ich so viel Angst davor, dich zu verlieren, bevor ich wirklich wusste, wer du überhaupt warst, dass ich dachte, es wäre am besten, dich zu verhätscheln und zu beschützen. Was sich am Ende als falsche Strategie herausgestellt hat. Aber ich bin dankbar, weil du mir zeigen konntest, dass es einige Dinge gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt.«
»Vielleicht bin ich aber auch nur dumm, weil ich mich dauernd in irgendwelche Gefahren begebe.«
Gabriel kicherte. »Ja, das mag sein. Allerdings liegst du oft ganz richtig. Vor langer Zeit dachte ich, dass ich dabei helfen könnte, den Urbats ihren ursprünglichen Segen wiederzubeschaffen. Aber ich hatte die Hoffnung aufgegeben – bis ich dir begegnet bin. Möchtest du wissen, was du und die Priesterin gemeinsam habt?«
Ich nickte. »Was denn?«
»Lilafarbene Augen. Ich kann mich jetzt daran erinnern. Sie hatte die gleichen Augen wie du.«
»Wirklich?« Die Farbe war äußerst ungewöhnlich. Meine Mutter hatte mir einmal erzählt, dass, nachdem meine babyblauen Augen lila geworden waren, Großvater Kramer sie zu überreden versucht hatte, meinen Namen in Liz zu ändern – nach seiner Lieblingsschauspielerin Elizabeth Taylor, die für ihre seltenen
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