Urbi et Orbi
er verlangt. Ihr Papst hat versucht, die Dinge zu ändern. Setzen Sie seine Bemühungen fort.«
»Ich bin nicht mehr in einer Position , in der ich irgendetwas bewirken könnte.«
»Sie sind in derselben Position wie einst Jesus, und ER hat alles verändert.«
»Warum sind wir hier?«
»Heute wird Unsere Liebe Frau zum letzten Mal erscheinen. Sie hat mir aufgetragen, um diese Stunde zu kommen und Sie mitzubringen. Sie wird ein sichtbares Zeichen ihrer Anwesenheit hinterlassen. Das hat sie bei ihrem ersten Besuch versprochen, und jetzt wird sie ihr Versprechen halten. Glauben Sie jetzt, in diesem Moment – und nicht später, wenn alles eindeutig ist.«
»Ich bin Priester, Jasna. Ich muss nicht bekehrt werden.«
»Sie zweifeln, bemühen sich aber nicht, Ihre Zweifel zu überwinden. Sie müssen bekehrt werden, mehr als jeder andere. Jetzt ist die Zeit der Gnade. Eine Zeit der Glaubensvertiefung. Eine Zeit der Bekehrung. So hat die Jungfrau es mir heute aufgetragen. «
»Warum haben Sie Bamberg erwähnt?«
»Das wissen Sie genau.«
»Das ist keine Antwort. Erklären Sie sich bitte.«
Der Regen wurde noch stärker, und Windstöße trieben Michener die Tropfen wie Nadelstiche ins Gesicht. Er schloss die Augen. Als er sie wieder aufschlug, lag Jasna auf den Knien, die Hände zum Gebet gefaltet. Sie starrte zum schwarzen Himmel hinauf, und in ihren Augen stand derselbe abwesende Blick wie am Nachmittag: als würde sie in eine weite Ferne schauen.
Er kniete sich neben sie.
Sie wirkte so verletzlich. Gar nicht mehr die trotzige Seherin, die sich besser vorkam als alle anderen. Er blickte zum Himmel und sah nur den düsteren Umriss des Kreuzes. Sonst nichts. Ein Blitzstrahl ließ das Bild einen Moment lang lebendig aus der Nacht heraustreten. Dann war das Kreuz wieder von Dunkel umschlossen.
»Ich kann mich erinnern, das weiß ich genau«, sagte sie in die Nacht hinein.
Wieder rollte Donner über den Himmel.
Sie mussten hier weg, aber er brachte es nicht über sich, sie zu stören. Was ihr geschah, mochte für ihn nicht real sein, für sie aber war es das.
»Liebe Frau, das wusste ich nicht«, sagte sie zum Wind.
Ein gleißend heller Strahl traf die Erde und zerfetzte das Kreuz.
Michener flog rückwärts durch die Luft.
Er spürte ein merkwürdiges Kribbeln in den Gliedern. Dann schlug sein Kopf gegen etwas Hartes. Schwindel ergriff ihn, gleich darauf wurde ihm schlecht. Alles verschwamm ihm vor Augen. Er versuchte mit aller Kraft, bei Bewusstsein zu bleiben, doch es gelang ihm nicht.
Schließlich versank alles in Stille.
45
Vatikanstadt
Mittwoch, 29. November
0.30 Uhr
V alendrea knöpfte seine Soutane zu und verließ sein Zimmer im Domus Sanctae Marthae. Als Staatssekretär hatte er eines der größeren Zimmer bekommen, das normalerweise von jenem Prälaten bewohnt wurde, der dem Gästehaus vorstand. Ein vergleichbares Privileg genossen der Camerlengo und der Vorsitzende des Kardinalskollegiums. Die Unterbringung entsprach zwar nicht Valendreas Niveau, war aber ein großer Fortschritt seit den Tagen, als man beim Konklave noch auf Feldbetten schlief und in einen Eimer pinkelte.
Der Weg vom Gästehaus zur Sixtinischen Kapelle führt e ü ber eine gesicherte, nach außen abgeriegelte Strecke. Noch beim letzten Konklave waren die Kardinäle in bewachten Bussen zwischen der Kapelle und dem Gästehaus gependelt, doch vielen waren diese Fahrten unter Aufsicht zuwider gewesen. Daher hatte man in den Korridoren des Vatikans einen Weg abgesperrt, der nur für Teilnehmer des Konklave passierbar war.
Valendrea hatte während des Abendessens dreien der Kardinäle in aller Stille klar gemacht, dass er sie später noch zu sehen wünsche, und jetzt warteten sie in der Sixtinischen Kapelle beim vorderen Marmorportal. Er wusste, dass draußen im Korridor jenseits des versiegelten Portals die Schweizergardisten darauf warteten, die bronzenen Flügeltüren aufzuwerfen, sobald sich weißer Rauch zum Himmel kräuselte. Nach Mitternacht rechnete aber niemand mehr mit einer solchen Entwicklung, und so würde die Kapelle den geeigneten Rahmen für eine vertrauliche Unterhaltung abgeben.
Er trat auf die drei Kardinäle zu und ließ ihnen keine Gelegenheit zum Sprechen. »Was ich Ihnen zu sagen habe, ist schnell erledigt.« Er redete bewusst leise. »Ich habe nicht vergessen, was Sie drei mir in den letzten Tagen versichert haben. Sie haben mir Ihre Unterstützung zugesagt und mich jetzt heimlich verraten. Warum, das
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