Urbi et Orbi
Kardinälen.
Valendrea war klar, dass die dreiundvierzig Kardinäle, die Ngovi bisher unterstützt hatten, sich nun umorientieren würden. Sie wollten schließlich auch zur Siegermannschaft gehören. Da ihr Pferd gescheut hatte, würden sie auf ein anderes setzen. Dass so spät noch ein dritter Kardinal ins Rennen kommen würde, war unwahrscheinlich, und so konnte Valendrea sich das Ergebnis an fünf Fingern abzählen. Er musste nur seine derzeitigen neunundfünfzig Stimmen behalten und noch einen kleinen Teil von Ngovis führungslosem Block hinzugewinnen.
Das würde ein Leichtes sein.
Er hätte Ngovi gern gefragt, warum er auf eine Kandidatur verzichtete. Es kam ihm so unsinnig vor. Der Afrikaner hatte zwar bestritten, dass er die Papstwürde anstrebte, doch jemand musste eine Kampagne für ihn geführt haben, sonst hätte er es niemals auf dreiundvierzig Stimmen gebracht. Valendrea war sich verteufelt sicher, dass der Heilige Geist nichts damit zu tun hatte. Dies hier war ein Kampf zwischen Männern, der von Männern organisiert und ausgetragen wurde. Mindestens einer der Männer, die um ihn herumsaßen, war offensichtlich ein heimlicher Feind. Gut möglich, dass der Kardinalarchivar der Rädelsführer war, denn er besaß sowohl die Statur als auch die Erfahrung. Valendrea konnte nur hoffen, dass die zahlreichen Stimmen für Ngovi nicht eine starke Ablehnung seiner selbst bedeuteten. In den nächsten Jahren wollte er den Abweichlern eine Lektion erteilen, und da brauchte er loyale, enthusiastische Mitstreiter. Ambrosis erste Aufgabe würde darin bestehen, allen klar zu machen, dass eine falsche Wahl ihren Preis hatte. Aber eines musste er dem Afrikaner, der ihm gegenübersaß, lassen: Mit seinen Worten Sie werden nicht siegen hatte er Recht gehabt. Nein, Valendrea würde nicht siegen. Ngovi überließ ihm die Papstwürde einfach so. Aber wen störte das schon?
Sieg war Sieg.
Der Wahlgang dauerte eine Stunde. Nach Ngovis überraschender Ankündigung schienen alle es eilig zu haben, das Konklave zu beenden.
Valendrea führte keine Liste, er zählte seine Stimmen nur im Kopf mit. Als er sechsundsiebzig erreicht hatte, hörte er nicht mehr hin. Erst als die Wahlprüfer ihn mit hundertzwei Stimmen für gewählt erklärten, konzentrierte er sich wieder auf den Altar.
Er hatte sich oft gefragt, was er in diesem Moment wohl empfinden würde. Nun diktierte er allein, was eine Milliarde Katholiken glauben würden. Kein Kardinal durfte sich mehr seinen Anweisungen widersetzen. Man würde ihn Heiliger Vater nennen und ihn bis zum Tag seines Todes mit allem versorgen, was er brauchte. Manche Kardinäle hatten in diesem Moment vor Schreck aufgeschrien. Einige wenige waren sogar aus der Kapelle geflüchtet. Valendrea merkte, dass alle Blicke auf ihn gerichtet waren. Er war nicht länger Alberto Kardinal Valendrea, Bischof von Florenz und Kardinalstaatssekretär.
Er war Papst.
Ngovi trat zum Altar. Valendrea wusste, dass der Afrikaner nun seine letzte Pflicht als Camerlengo erfüllen würde. Nach einem kurzen Gebet ging Ngovi schweigend durch den Mittelgang und stellte sich vor ihn.
»Nimmst du die kanonische Wahl zum höchsten Pontifex an?«
Diese Frage auf Lateinisch wurde dem Sieger seit Jahrhunderten gestellt.
Valendrea starrte in Ngovis durchdringende Augen und fragte sich, was dieser wohl dachte. Warum hatte er sich als Kandidat verweigert, obwohl er wusste, dass dadurch ein von ihm verabscheuter Mann fast mit Sicherheit zum Pontifex gewählt werden würde? So, wie er den Afrikaner einschätzte , war dieser ein frommer Katholik. Ein Mann, der alles in seiner Macht Stehende tun würde, um die Kirche zu schützen. Er war kein Feigling. Und doch war er einem Kampf ausgewichen, den er vielleicht hätte gewinnen können.
Valendrea verdrängte diese irritierenden Gedanken und sagte laut und deutlich: »Ich nehme die Wahl an.« Es war zum ersten Mal seit Jahrzehnten, dass diese Antwort auf Italienisch erfolgte.
Die Kardinäle standen auf und applaudierten.
Die Trauer um den toten Papst wich nun der Freude über den neuen Pontifex. Valendrea stellte sich die Szene vor den Türen der Kapelle vor, wo jetzt die Vatikanbeobachter hören mussten, wie im Inneren Unruhe entstand, und daraus gewiss schlossen, dass eine Entscheidung gefallen war. Er sah zu, wie einer der Wahlprüfer die Stimmzettel zum Ofen trug. Gleich würde weißer Rauch an den Morgenhimmel steigen, und auf dem Petersplatz würde man in lauten Jubel
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