Urbi et Orbi
wünschen. Es ist so leicht, immer alle Schuld auf di e K urie zu schieben. Warum sollte ein Papst, der mit dieser Institution verwachsen ist, irgendetwas unternehmen, was sie bedroht? Ja, es gibt ein paar Veränderungen, alle Päpste basteln ein bisschen herum, aber keiner hat je Altes abgerissen, um Neues zu bauen.« Der alte Mann heftete den Blick auf Valendrea. »Und gewiss kann man das nicht von jemandem erwarten, der ein Produkt dieses Systems ist. Wir müssen uns fragen, ob Valendrea die nötige Kühnheit aufbringen würde. « E r machte eine Pause. »Ich glaube es nicht.«
Valendrea trank seinen Kaffee. Schließlich stellte er die Tasse ab und sagte gelassen zu dem Archivar: »Ihre Wahlentscheidung ist offensichtlich gefallen, Eminenz. «
»Dies ist mein letztes Konklave, und ich möchte, dass meine Stimme Gewicht hat. «
Valendrea nickte lässig. »Das ist Ihr gutes Recht, Eminenz. Ich werde mich hüten, mich da einzumischen.«
Ngovi trat in die Mitte des Saals. »Mir scheint, wir haben nun genug diskutiert. Beenden wir doch die Mahlzeit und begeben uns in die Kapelle. Dort können wir uns ausführlicher mit dieser Frage befassen.«
Keiner wandte etwas ein.
Valendrea war begeistert von der ganzen Szene.
Eine offenherzige Diskussion konnte ihm nur nutzen.
48
Medjugorje, Bosnien-Herzegowina
9.00 Uhr
K aterina machte sich allmählich Sorgen. Vor einer Stunde war sie aufgewacht und hatte festgestellt, dass Michener verschwunden war. Das Unwetter war abgezogen, und der Morgen war warm, aber wolkenverhangen. Erst hatte sie gedacht, er wäre schon auf einen Kaffee nach unten gegangen, doch als sie ihn eben im Speisesaal gesucht hatte, war er nicht da gewesen. Sie erkundigte sich an der Rezeption nach ihm, aber die Dame hatte ihn nicht gesehen. Katerina lief zur St. Jakobskirche, weil sie dachte, Michener könne dort hingegangen sein. Doch auch dort war er nicht. Es sah Michener nicht ähnlich, einfach wegzugehen, ohne etwas zu sagen. Außerdem lagen seine Reisetasche, Brieftasche und Ausweispapiere noch immer im Hotelzimmer.
Katerina stand jetzt auf dem belebten Platz vor der Kirche und überlegte, ob sie einen der Soldaten um Hilfe bitten sollte. Busse kamen und entließen Ströme von Pilgern. Als die Händler ihre Läden aufmachten, herrschte bereits dichter Verkehr auf den Straßen.
Sie hatten einen sehr schönen Abend gehabt. Ihre Unterhaltung im Restaurant war anregend gewesen, und später im Hotelzimmer war es zwischen ihnen noch aufregender geworden. Katerina war entschlossen, Valendrea nichts zu sagen. Sie war nach Bosnien gekommen, um mit Michener zusammen zu sein, nicht um ihn auszuspionieren. Sollten Ambrosi und Valendrea von ihr denken, was sie wollten. Sie war einfach nur froh, hier zu sein. An einer Karriere als Journalistin lag ih r n icht mehr viel. Sie würde nach Rumänien gehen und sich um die Kinder kümmern. Damit ihre Eltern stolz auf sie sein konnten. Und sie selbst auch. Endlich einmal etwas Gutes tun.
Sie hatte Michener all diese Jahre gegrollt, aber inzwischen war ihr aufgegangen, dass auch sie Fehler gemacht hatte. Sogar schlimme Fehler. Michener liebte seinen Gott und seine Kirche. Sie liebte nur sich selbst. Doch das würde sich ändern. Dafür würde sie sorgen. Beim Abendessen hatte Michener darüber geklagt, dass er noch nie eine Seele gerettet hatte. Vielleicht irrte er sich da. Vielleicht war sie die erste.
Sie überquerte die Straße und erkundigte sich im Besucherzentrum nach Michener. Doch dort hatte keiner einen Mann gesehen, auf den ihre Beschreibung passte. Sie marschierte den Bürgersteig entlang und spähte in die Geschäfte. Immerhin war es denkbar, dass er schon unterwegs war und Erkundigungen einzog, wo die anderen Seher wohnten. Dann ging sie einem Impuls folgend in die Richtung, die sie gestern eingeschlagen hatten, vorbei an denselben Reihen weißer Häuser mit Stuckfassaden und roten Ziegeldächern.
Sie fand Jasnas Haus und klopfte.
Niemand öffnete.
Sie ging zur Straße zurück. Die Fensterläden waren geschlossen. Sie wartete eine Weile, ob sich drinnen vielleicht irgendetwas rührte, doch alles blieb still. Dann fiel Katerina auf, dass Jasnas Auto nicht mehr am Straßenrand stand.
Sie machte sich auf den Rückweg zum Hotel.
Eine Frau stürzte aus dem Haus gegenüber auf Katerina zu und schrie auf Kroatisch: »Es ist furchtbar. Ganz furchtbar. Jesus steh uns bei.«
Ihr Entsetzen erschreckte Katerina.
»Was ist denn los?«, rief sie im
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