Urbi et Orbi
gebrauchen konnte.
Als der Schneider fertig war, setzte Valendrea sich auf einen Stuhl. Einer der Priester kniete sich vor ihm nieder und zog ihm Schuhe und Strümpfe aus. Valendrea genoss es schon jetzt, dass er von nun an fast nichts mehr würde selbst machen müssen. Ein Paar weiße Strümpfe und rote Lederschuhe wurden herbeigebracht. Valendrea überprüfte die Größe. Sie war genau richtig. Mit einer Geste wies er die Priester an, ihm die Schuhe überzuziehen.
Dann stand er auf.
Man reichte ihm ein weißes zucchetto . In jenen Tagen, als die Prälaten noch Tonsur trugen, hatten die Schädelkappen im Winter als Kälteschutz gedient. Jetzt gehörten sie zur Tracht eines jeden hochrangigen Klerikers. Seit dem achtzehnten Jahrhundert wurde das Käppchen des Papstes aus acht dreieckig geschnittenen weißen Stücken Seidenstoff genäht. Er nahm das Käppchen und setzte es sich auf den Kopf wie ein Kaiser, der sich selber krönt.
Ambrosi lächelte beifällig.
Es wurde Zeit, dass die Welt ihn kennen lernte.
Doch davor blieb ihm noch eine letzte Pflicht.
Er verließ die Ankleidekammer und kehrte in die Sixtinische Kapelle zurück. Die Kardinäle standen auf den ihnen zugewiesenen Plätzen. Vor den Altar hatte man einen Thronstuhl gestellt. Valendrea stolzierte direkt darauf zu, setzte sich und wartete volle zehn Sekunden lang, bevor er sagte: »Nehmen Sie Platz.«
Das nun bevorstehende Ritual war zum Abschluss der Wahl kanonisch vorgeschrieben. Jeder Kardinal musste vortreten, einen Kniefall machen und den neuen Papst annehmen.
Valendrea winkte den ranghöchsten Kardinalbischof, einen seiner Unterstützer, heran, und dieser stand auf und machte den Anfang. Johannes Paul II. hatte das Kardinalskollegium stehend begrüßt und damit die alte Tradition gebrochen, nach der der Papst vor den Würdenträgern saß. Doch dies war ein Neuanfang, und am besten gewöhnten sich alle gleich daran. Eigentlich konnten sie noch von Glück sagen – in den vorangegangenen Jahrhunderten hatte das Küssen der Papstschuhe mit zum Ritual gehört.
Er blieb sitzen und hielt dem Kardinal den Ring zum Kuss hin, der pflichtschuldig erfolgte.
Irgendwann kam Ngovi an die Reihe. Der Afrikaner kniete sich hin und ergriff die Hand mit dem Ring. Valendrea fiel auf, dass seine Lippen das Gold nicht wirklich berührten. Dann stand Ngovi auf und ging davon.
»Wollen Sie mir nicht gratulieren?«, fragte Valendrea.
Ngovi blieb stehen und drehte sich um. »Möge Ihre Regierungszeit Ihnen all das bringen, was Sie verdienen.«
Er hätte dem eingebildeten Hurensohn gern eine Lektion erteilt, doch dies war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort. Vielleicht hatte Ngovi ja sogar beabsichtigt, ihn zu einer verfrühten Demonstration von Arroganz zu provozieren. Daher zwang er sich zur Gelassenheit und erwiderte nur: »Ich nehme an, Sie wünschen mir damit etwas Gutes.«
»Nichts anderes.«
Als der letzte Kardinal am Altar vorbeigezogen war, stand Valendrea auf. »Ich danke Ihnen allen. Ich werde mein Bestes für Mutter Kirche tun. Und jetzt scheint es mir an der Zeit zu sein, mich der Welt zu zeigen.«
Er marschierte durch den Mittelgang und das Marmortor und verließ die Kapelle durch ihren Haupteingang. Er ging durch den Königssaal und den Fürstensaal zum Petersdom. Valendrea mochte diesen Weg, weil die eindrucksvollen Gemälde an den Wänden die Vorherrschaft des Papstes über alle weltlichen Mächte verdeutlichten.
Valendrea betrat den Balkon des Petersdoms.
Seit seiner Wahl war jetzt beinahe eine Stunde vergangen, und inzwischen war die Gerüchteküche wohl schon am Überkochen. Einige Informationen mochten aus der Sixtinischen Kapelle nach draußen gesickert sein, aber mit Sicherheit war alles so widersprüchlich, dass keiner etwas Genaues wissen konnte. Genau so wollte er es auch in Zukunft halten. Verwirrung konnte eine wirksame Waffe sein, wenn er selbst die Verwirrung stiftete. Allein schon seine Namenswahl sollte einige Spekulationen nähren. Nicht einmal die großen Kriegerpäpste oder die geweihten Diplomaten, die es in den letzten Jahrhunderten an die Kirchenspitze geschafft hatten, hatten es gewagt, ein solches Zeichen zu setzen.
Er trat in die Nische, die auf den Balkon hinausführte. Doch noch würde er nicht hinaustreten. Zunächst würde sich vielmehr der Kardinalarchivar – als der rangälteste Kardinaldiakon – zeigen, dann der Papst, der vom Vorsitzenden des Kardinalskollegiums und dem Camerlengo gefolgt werden
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