Urbi et Orbi
ausbrechen.
Der Applaus verstummte. Der Camerlengo würde nun die letzte Frage stellen.
»Wie willst du dich nennen?«, fragte Ngovi auf Lateinisch.
In der Kapelle wurde es still.
Die Wahl des Papstnamens war fast ein Programm. Johannes Paul I. hatte die Namen seiner unmittelbaren Vorgänger gewählt, eine Botschaft, dass er sowohl der Güte Johannes ’ als auch der Strenge Pauls nacheifern wollte. Das war sein Vermächtnis gewesen. Eine ähnliche Botschaft hatte Johannes Paul II. vermittelt, als er sich für den Doppelnamen seines Vorgängers entschied. Viele Jahre lang hatte Valendrea überlegt, welchen Namen er wählen würde, und die beliebtesten Papstnamen im Kopf hin- und hergewälzt: Innozenz, Benedikt, Gregor, Julius oder Sixtus. Jakob Volkner hatte sich wegen seiner deutschen Abstammung für Clemens entschieden. Valendrea wollte jedoch ein eindeutiges Zeichen setzen, dass die Zeit der Weltherrschaft des Papstes wiedergekehrt war.
»Petrus II.«
In der Kapelle hörte man verblüfftes Keuchen. Ngovi verzog keine Miene. Es hatte zweihundertsiebenundsechzig Päpste gegeben, darunter dreiundzwanzig mit dem Namen Johannes, zwölfmal Paul, dreizehnmal Leo, zwölfmal Pius, achtmal Alexander und noch einige andere Namen.
Aber nur einen einzigen Petrus.
Der erste Papst.
Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen.
Petrus ’ Gebeine lagen nur ein paar Meter entfernt unter dem größten Gotteshaus der Christenheit. Er war der erste Heilige der katholischen Kirche und der am meisten verehrte. Zwei Jahrtausende lang hatte kein Papst seinen Namen gewählt.
Valendrea stand auf.
Die Zeit der Verstellung war vorbei. Alle Rituale waren ordnungsgemäß ausgeführt worden. Seine Wahl war bestätigt, er hatte sie förmlich angenommen und seinen Namen verkündet. Er war jetzt Bischof von Rom, Vikar Jesu Christi, Nachfolger der Apostelfürsten, Pontifex Maximus – und damit oberster Gesetzgeber der Universalkirche, Erzbischof der Provinz Rom, Oberhaupt des Vatikanstaates, Primas Italiens und Patriarch des Westens.
Diener der Diener Gottes.
Er sah die Kardinäle an, damit ihn auch wirklich keiner missverstand. »Ich wähle den Namen Petrus II.«, sagte er auf Italienisch. Keiner sagte ein Wort.
Dann begann einer der drei Kardinäle vom Vorabend z u a pplaudieren. Einige andere fielen ein. Bald hallte die Kapelle von donnerndem Applaus wider. Valendrea genoss den Triumph des Sieges, den man ihm nie wieder würde wegnehmen können. Und doch wurde seine Begeisterung durch zwei Dinge gedämpft:
Das Lächeln, das um Ngovis Lippen spielte, und das unerwartete Klatschen des Camerlengos, der sich dem allgemeinen Applaus anschloss.
50
Medjugorje, Bosnien-Herzegowina
11.00 Uhr
K aterina saß am Bett und wachte bei Michener. Sie hatte noch genau vor Augen, wie man Michener vorhin bewusstlos ins Krankenhaus getragen hatte, und sie wusste nun, wie furchtbar der Verlust dieses Mannes sie treffen würde.
Umso mehr schmerzte es sie, dass sie ihn verraten hatte, und sie beschloss, Michener die Wahrheit zu sagen. Hoffentlich würde er ihr verzeihen. Sie fand es schrecklich, dass sie auf Valendreas Forderungen eingegangen war. Aber andererseits hatte sie vielleicht genau diesen Anstoß gebraucht, denn sonst hätten Stolz und Zorn sie womöglich daran gehindert, sich Michener ein zweites Mal zu nähern. Ihre erste Begegnung vor drei Wochen auf dem Petersplatz war katastrophal verlaufen. Valendreas Angebot hatte ihr die Sache erleichtert, doch ihr Verhalten blieb weiterhin falsch.
Michener schlug die Augen auf.
»Colin.«
»Kate?« Seine Augen suchten sie, doch es gab kein Erkennen.
»Hier bin ich.«
»Ich höre dich, aber ich kann dich nicht sehen. Alles ist so verschwommen, wie unter Wasser. Was ist passiert?«
»Ein Blitz. Er ist in das Kreuz auf dem Kreuzberg eingeschlagen. Ihr beide, du und Jasna, wart zu dicht daran.«
Er rieb sich die Stirn. Vorsichtig tastete er die Schürfwunden und Schnitte ab. »Wie geht es ihr?«
»Sie scheint sich zu erholen. Sie war bewusstlos, genau wie du. Warum wart ihr da oben?«
»Später.«
»Natürlich. Hier, trink ein bisschen Wasser. Der Arzt hat gesagt, dass du trinken musst.« Sie setzte ihm eine Tasse an die Lippen, und er trank ein paar Schlucke.
»Wo bin ich?«
»In einem staatlichen Krankenhaus, das die Regierung für die Pilger betreibt.«
»Weiß man schon, was ich habe?«
»Keine Gehirnerschütterung. Du hast einfach nur einen zu starken
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