Urbi et Orbi
sollte.
Valendrea trat dicht an den Kardinalarchivar heran, der unmittelbar vor der Balkontür stand, und flüsterte: »Ich hatte Ihnen gesagt, Eminenz, dass ich Geduld haben würde. Nun erledigen Sie Ihre letzte Pflicht.«
Die Augen des alten Mannes waren undurchdringlich. Er machte sich gewiss keine falschen Hoffnungen mehr.
Der Archivar trat wortlos auf den Balkon hinaus.
Fünfhunderttausend Menschen jubelten.
Ein Mikrofon stand vor der Balustrade, und der Archivar trat heran und sagte: » Annuntio vobis gaudium magnum habemus Papam. « Diese Verkündigung musste auf Lateinisch erfolgen, aber Valendrea kannte die Übersetzung genau.
Wir haben einen Papst.
Brausender Jubel stieg auf. Valendrea konnte die Leute nicht sehen, spürte aber fast körperlich, dass sie da waren. Wieder sprach der Kardinalarchivar ins Mikrofon: » Cardinalem Sanctae Romanae Ecclesiae … Valendrea.«
Die Hochrufe waren ohrenbetäubend. Endlich wieder ein Italiener auf dem Throne Petri. Die » Viva, Viva « Rufe wurden immer lauter.
Der Archivar hielt inne und blickte sich um, Valendrea entging sein frostiger Gesichtsausdruck keinesfalls. Der alte Mann war ganz offensichtlich nicht glücklich über das, was er nun zu sagen hatte. Der Kardinalarchivar wandte sich wieder dem Mikrofon zu: » Qui Sibi Imposuit Nomen … «
Die Worte hallten wider. Der Name, den er wählte, ist …
» Petrus II. «
Das Echo hallte auf der riesigen Piazza hin und her, als riefen die Statuen auf der Kolonnade einander verwundert zu, ob sie auch richtig gehört hatten. Die Leute ließen sich den Namen einen Moment lang durch den Kopf gehen und verstanden.
Die Hochrufe wurden noch lauter.
Valendrea trat auf den Balkon zu, stellte aber fest, dass ihm nur ein einziger Kardinal folgte. Ngovi hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
»Kommen Sie?«
»Nein.«
»Es ist Ihre Pflicht als Camerlengo.«
»Es ist meine Schande.«
Valendrea tat den ersten Schritt auf den Balkon. »Ich habe Ihnen die Unverschämtheit in der Kapelle durchgehen lassen. Provozieren Sie mich nicht erneut.«
»Was wollen Sie denn tun? Mich einsperren lassen? Mich enteignen? Mir meine Titel aberkennen? Wir befinden uns nicht im Mittelalter. «
Der andere Kardinal, der alles mit anhörte, wirkte peinlich berührt. Dieser Mann war ein strammer Unterstützer Valendreas, und so musste der frisch gebackene Papst die Muskeln spielen lassen. »Ich befasse mich später mit Ihnen, Ngovi.«
»Und der Herr wird sich mit Ihnen befassen.«
Der Afrikaner machte kehrt und ging davon.
Valendrea würde sich seinen Triumph nicht ruinieren lassen. Er sah den verbliebenen Kardinal an: »Gehen wir, Eminenz?«
Und er trat in die Sonne hinaus, die Arme ausgebreitet, als wollte er die Menschenmenge umarmen, die ihre Begeisterung laut herausschrie.
52
Medjugorje, Bosnien-Herzegowina
12.30 Uhr
M ichener fühlte sich besser. Er konnte wieder klar sehen, und sein Magen hatte sich endlich beruhigt. Nun erkannte er, dass er in einem kleinen Krankenzimmer mit Wänden aus blassgelbem Schlackenstein lag. Das Fenster mit seinem Spitzenvorhang ließ Licht herein, gestattete aber keinen Blick nach draußen, da die Scheiben dick mit Farbe überstrichen waren.
Katerina war weggegangen, um nach Jasna zu sehen. Der Arzt hatte ihnen nichts über Jasnas Befinden gesagt. Michener hoffte, dass es ihr gut ging.
Die Tür öffnete sich.
»Sie ist wohlauf«, sagte Katerina. »Anscheinend hattet ihr beide gerade noch genug Abstand. Ein paar hässliche Beulen am Kopf, das ist schon alles.« Sie trat ans Bett. »Und ich habe noch eine Neuigkeit.«
Er sah sie an, froh, ihr reizendes Gesicht wiederzusehen.
»Valendrea ist Papst. Ich hab es im Fernsehen gesehen. Gerade hat er seine Ansprache auf dem Petersplatz gehalten. Er spricht sich für die Rückkehr der Kirche zu ihren Wurzeln aus. Und stell dir mal vor, er hat den Papstnamen Petrus II. gewählt. «
»Rumänien kommt mir immer attraktiver vor.«
Sie lächelte schief. »Jetzt sag mal: War der Aufstieg die Mühe wenigstens wert?«
»Wovon sprichst du?«
»Davon, was ihr beiden gestern Nacht auf dem Berg gemacht habt.«
»Eifersüchtig?«
»Eher neugierig.«
Er schuldete ihr offensichtlich eine Erklärung. »Sie sollte mir das zehnte Geheimnis verraten. «
»Mitten in einem Unwetter?«
»Mit Vernunft ist das nicht zu erklären. Ich bin aufgewacht, und sie stand draußen auf der Straße und wartete auf mich. Es war unheimlich. Aber ich hatte das Gefühl,
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