Urbi et Orbi
tapfer. Die Kirche ist nun auf Biegen oder Brechen dir anheim gegeben. Sorge dafür, dass man sich dereinst an Clemens XV. mit Stolz erinnert. Es wäre wunderbar, wenn du eine Pilgerfahrt nach Bamberg unternehmen könntest. Versuche doch, das irgendwann einmal in die Wege zu leiten. Ich habe dich so lange nicht mehr gesehen. Ein paar Augenblicke, selbst in der Öffentlichkeit, würden mir schon genügen. Bis dahin lass dir von dem, was unser ist, das Herz erwärmen. Weide deine Herde mit Würde und Kraft, und wisse immer, dass ich im Herzen bei dir bin.
59
21.00 Uhr
K aterina näherte sich dem Gebäude, in dem Micheners Wohnung lag. Die dunkle Straße war menschenleer, und am Straßenrand parkten Autos. Aus den geöffneten Fenstern drangen Stimmen, Kindergeschrei und Musikfetzen. Fünfzig Meter hinter ihr rauschte der Verkehr über einen Boulevard.
In Micheners Wohnung brannte nur ein einziges Licht, und sie verzog sich in einen Hauseingang auf der Straßenseite gegenüber, wo Schatten sie verbargen, und sah zum zweiten Stock hinauf.
Sie mussten miteinander reden. Sie musste ihm erklären, wie alles gekommen war. Sie hatte ihn nicht verraten. Sie hatt e V alendrea überhaupt nichts gesagt. Aber sie hatte tatsächlich Micheners Vertrauen missbraucht. Er war nicht so wütend gewesen, wie sie erwartet hatte, eher verletzt, und darum fühlte sie sich jetzt umso elender. Wann würde sie es jemals lernen? Warum machte sie immer dieselben Fehler? Konnte sie nicht ein einziges Mal das Richtige aus den richtigen Gründen tun? Sie konnte es doch eigentlich besser, aber irgendetwas schien sie immer davon abzuhalten.
Sie stand im Dunkeln. Sie empfand ihre Einsamkeit als tröstlich und war fest entschlossen zu tun, was getan werden musste. Im Fenster des zweiten Stocks war keinerlei Bewegung zu erkennen, und sie fragte sich, ob Michener überhaupt da war.
Sie nahm gerade all ihren Mut zusammen und wollte die Straße überqueren, als sie sah, wie ein Auto aus dem Boulevard einbog und auffallend langsam auf das Gebäude zufuhr. Die Scheinwerfer erleuchteten die Straße, und Katerina schob sich tiefer in den Eingang, bis sie mit der Dunkelheit verschmolz.
Die Scheinwerfer erloschen, und der Wagen hielt an.
Ein dunkles Mercedes Coupé.
Die hintere Tür wurde geöffnet, dann stieg jemand aus. Im Licht der Innenbeleuchtung erkannte sie einen hoch gewachsenen Mann mit einer langen, scharfen Nase in einem schmalen Gesicht. Er trug einen legeren grauen Anzug, und der Glanz in seinen dunklen Augen gefiel ihr nicht. Sie kannte diese Sorte Mann. Im Auto saßen zwei weitere Männer. Der eine war der Fahrer, der andere saß auf dem Rücksitz. In Katerinas Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. Bestimmt hatte Ambrosi diese Leute geschickt.
Der Lange betrat das Gebäude, in dem Micheners Wohnung lag.
Der Mercedes rollte langsam davon. Das Licht in Micheners Wohnung brannte noch immer.
Katerina hatte keine Zeit, die Polizei zu rufen.
Sie trat aus dem Hauseingang und lief über die Straße.
M ichener las den letzten Brief zu Ende und betrachtete die rundum verstreuten Umschläge. In den zurückliegenden zwei Stunden hatte er jedes einzelne Wort gelesen, das Irma Rahn geschrieben hatte. Diese Truhe enthielt gewiss nicht die gesamte Korrespondenz. Vielleicht hatte Volkner nur die Briefe aufbewahrt, die ihm besonders viel bedeuteten. Das Datum des letzten Briefes lag zwei Monate zurück – ein weiteres rührendes Schreiben, in dem Irma Clemens ’ Gesundheitszustand beklagte, den sie besorgt im Fernsehen verfolgte, und ihn ermahnte, auf sich Acht zu geben.
Michener dachte an die gemeinsamen Jahre mit Volkner zurück und verstand jetzt einige der Bemerkungen, die sein Freund über seine Beziehung zu Katerina gemacht hatte.
Glauben Sie etwa, Sie seien als einziger Priester der Versuchung erlegen? Außerdem, war es denn wirklich eine so große Sünde? Hat es sich wie eine Sünde angefühlt? Hat Ihr Herz Ihnen gesagt, dass es falsch ist?
Und dann kurz vor seinem Tod. Diese sonderbare Bemerkung Clemens ’ , als dieser sich nach dem Tribunal und nach Katerina erkundigt hatte. Es ist gut, dass sie Ihnen nicht gleichgültig ist, Colin. Sie ist ein Teil Ihrer Vergangenheit. Ein Teil, den Sie niemals vergessen sollten.
Michener hatte das einfach für ein paar tröstliche, beruhigende Worte gehalten. Nun begriff er, dass es mehr gewesen war.
Aber das bedeutet nicht, dass Sie einander keine Freunde sein könnten. Teilen Sie sich
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