Urbi et Orbi
Uniform mit Helmbusch vorbei, die Hellebarden in die Luft gereckt. Michener sah ihnen nach, wie sie zum Haupteingang des Doms marschierten. Die sechs schweren Glocken oben in der Kuppel schwiegen, doch ihm war klar, dass der Zeitpunkt, wenn sie zu Clemens ’ Tod läuten würden, absehbar war. Umso mehr ärgerte er sich über Katerinas Unverschämtheit. Es war ein Fehler gewesen, zum Tribunal zu gehen und sich jetzt mit ihr zu unterhalten. Er wusste, was er zu tun hatte. »Hat mich gefreut, dich zu sehen, Kate.« Er wandte sich zum Gehen.
»Drecksack.«
Sie spie es gerade so laut heraus, dass er es hören konnte.
Er drehte sich um. Hatte sie das ernst gemeint? Kates Gesicht spiegelte ihren inneren Konflikt wider. Michener trat näher und senkte die Stimme. »Wir haben seit Jahren nicht miteinander geredet, und jetzt hast du mir nur zu sagen, dass die Kirche eine grauenhafte Institution ist. Wenn du sie so seh r v erachtest, warum verschwendest du dann deine Zeit damit, Artikel über sie zu schreiben? Schreib doch lieber diesen Roman, von dem du immer geredet hast. Ich dachte, du wärest inzwischen vielleicht etwas nachsichtiger geworden. Offensichtlich habe ich mich getäuscht. «
»Ich höre mit Begeisterung, dass du dir Gedanken über mich machst. Als du mir das Ende unserer Beziehung mitteiltest, hast du nämlich genau das nicht getan. Es war dir völlig egal, was ich dabei empfinde.«
»Müssen wir das alles wieder von vorn aufrollen?«
»Nein, Colin. Ist nicht nötig.« Sie trat etwas zurück. »Absolut nicht. Wie du schon sagtest: Hat mich gefreut, dich zu treffen.«
Einen Moment lang spürte er, wie verletzt sie war, doch es gelang ihr schnell, es zu überspielen.
Michener sah wieder zum Palast. Inzwischen riefen und winkten immer mehr Besucher auf dem Petersplatz, und Clemens winkte zurück. Einige Fernsehteams filmten die kleine Szene.
» Er ist das Problem«, sagte Katerina. »Dein Problem. Du weißt es nur nicht.«
Bevor er etwas erwidern konnte, war sie verschwunden.
6
15.00 Uhr
V alendrea setzte sich den Kopfhörer auf die Ohren, drückte die Wiedergabetaste seines Bandgerätes und hörte das Gespräch zwischen Colin Michener und Clemens XV. ab. Die i n d er Papstwohnung installierten Abhörgeräte hatten wieder einmal perfekt funktioniert. Der gesamte Apostolische Palast war gründlich verwanzt. Dafür hatte der Würdenträger unmittelbar nach Clemens ’ Wahl gesorgt. Da er als Kardinalstaatssekretär für die Sicherheit des Vatikans Verantwortung trug, war das ein Leichtes gewesen.
Clemens hatte vorhin bei ihrem Gespräch Recht gehabt. Valendrea wünschte durchaus, dass das gegenwärtige Pontifikat noch etwas länger dauerte, denn so bekam er Zeit, sich noch die letzten paar Stimmen zu sichern, die er für das Konklave brauchte. Das Kardinalskollegium umfasste derzeit 160 Mitglieder, von denen allerdings siebenundvierzig über achtzig waren und daher kein Wahlrecht hatten. Fünfundvierzig Stimmen hatte Valendrea so gut wie sicher. Das war ein guter Anfang, bedeutete aber noch lange nicht, dass er die Wahl in der Tasche hatte. Ein Sprichwort besagte: Wer als Papst ins Konklave geht, kommt als Kardinal heraus. Das hatte er letztes Mal leider nicht beachtet. Diesmal würde er jedoch kein Risiko eingehen. Die Abhörgeräte waren nur ein Aspekt seiner Strategie, alles dafür zu tun, dass die italienischen Kardinäle ihn diesmal nicht wieder im Stich ließen. Es war wirklich erstaunlich, wie unbedacht die höchsten kirchlichen Würdenträger Tag für Tag ihre Geheimnisse ausplauderten, doch sie sündigten und bedurften – ebenso wie andere Menschen – der Vergebung. Valendrea wusste jedoch, dass man dem Büßer manchmal seine Buße aufnötigen musste.
Es ist gut, dass sie Ihnen nicht gleichgültig ist, Colin. Sie ist ein Teil Ihrer Vergangenheit. Ein Teil, den Sie niemals vergessen sollten.
Valendrea nahm den Kopfhörer ab und blickte den Mann an seiner Seite an. Der Geistliche Paolo Ambrosi stand ih m s chon seit mehr als einem Jahrzehnt zur Seite. Er war ein kleiner, schmaler Mann mit dünnem, grauem Haar. Die Hakennase und das Kinn erinnerten Valendrea an einen Falken, ein Bild, mit dem auch der Charakter des Priesters recht treffend beschrieben war. Ambrosi lächelte selten und lachte so gut w ie nie. Er umgab sich stets mit einer Aura von gewichtigem Ernst, doch das störte Valendrea nicht im Geringsten, denn Paolo Ambrosi besaß zwei Eigenschaften, die Valendrea enorm bewunderte:
Weitere Kostenlose Bücher