Urbi et Orbi
Sicherheit wiederkam. Valendrea speiste schon seit Jahren in diesem Restaurant. Er hatte seinen Stammtisch im hinteren Bereich der Räumlichkeiten. Der Wirt kannte seine Lieblingsweine genau und wusste, dass dieser Gast absolut ungestört zu bleiben wünschte.
»Ein wunderschöner Abend«, bemerkte Ambrosi.
Der jüngere Geistliche saß mit Valendrea im Fond einer Mercedes-Stretchlimousine, in der schon viele Diplomaten durch die Ewige Stadt chauffiert worden waren – selbst der Präsident der Vereinigten Staaten bei seinem Besuch im vergangenen Herbst. Der Fahrgastbereich war durch eine Milchglasscheibe vom Chauffeur getrennt. Alle Wagenfenster waren getönt und aus schusssicherem Glas. Die Karosserie und das Fahrgestell waren gepanzert.
»Ja, wirklich.« Valendrea rauchte eine Zigarette und genoss die beruhigende Wirkung des Nikotins nach einer prächtigen Mahlzeit. »Was wissen wir über Hochwürden Tibor?«
Es gefiel ihm, in der ersten Person Plural zu reden. Er übte schon einmal für die hoffentlich vor ihm liegenden Jahre. Jahrhundertelang hatten die Päpste den Pluralis Majestatis verwendet. Johannes Paul II. hatte diese Gewohnheit jedoch aufgegeben, und Clemens XV. hatte sie offiziell für beendet erklärt. Doch wenn der derzeitige Papst fest entschlossen war, alle altehrwürdigen Traditionen über Bord zu werfen, würde Valendrea sie mit nicht geringerem Eifer wieder auferstehen lassen.
Während des Essens hatte er das Thema Tibor, das ihm schwer auf der Seele lag, gemieden und Ambrosi keinerlei Fragen gestellt. Er besprach vatikanische Angelegenheiten aus Prinzip nie außerhalb des Vatikans. Zu viele Männer hatte er durch ihre Sorglosigkeit stürzen sehen, manchmal genügten ein paar achtlos dahingesagte Worte. Bei einigen hatte er allerdings auch selbst kräftig nachgeholfen. Seinen Wagen betrachtete Valendrea jedoch als eine Erweiterung des Vatikans, und Ambrosi kontrollierte ihn täglich auf Wanzen.
Aus dem CD-Spieler ertönte eine sanfte Chopin-Melodie. Er empfand die Musik als entspannend, gleichzeitig schützte sie das Gespräch vor irgendwelchen mobilen Abhörvorrichtungen.
»Sein voller Name lautet Andrej Tibor«, antwortete Ambrosi. »Von 1959 bis 1967 war er im Vatikan beschäftigt. Danach war er als Priester in verschiedenen Gemeinden tätig. Vor zwanzig Jahren ging er in Pension. Alles völlig unauffällig. Zur Zeit lebt er in Rumänien und erhält dort einen monatlichen Pensionsscheck, den er regelmäßig eigenhändig einlöst. «
Valendrea inhalierte tief. »Dann lautet also die Frage des Tages, was Clemens von diesem alten Priester will?«
»Es geht mit Sicherheit um Fatima.«
Gerade waren sie von der Via Milazzo abgebogen und fuhren nun über die Via Dei Fori Imperiali auf das Kolosseum zu. Es gefiel Valendrea, wie sehr Rom an seiner Vergangenheit festhielt. Er konnte sich mühelos vorstellen, wie Kaiser und Päpste sich in dem befriedigenden Gefühl gesonnt hatten, einen Ort von solcher Pracht und Schönheit zu regieren. Eines Tages würde er dieses Gefühl selbst genießen. Er würde sich niemals mit dem purpurroten Birett zufrieden geben. Er wollte den Camauro tragen, der allein den Päpsten vorbehalten war. Clemens hatte diese historische Kopfbedeckung als anachronistisch verworfen. Doch die rote Samtkappe mit dem weißen Pelzsaum würde als eines der vielen Zeichen für die Rückkehr des imperialen Papsttums dienen. Kein Katholik, ob aus dem Westen oder aus der Dritten Welt, würde künftig das päpstliche Dogma verwässern dürfen. Die Kirche sorgte sich inzwischen viel mehr um die Meinung der Welt als um die Verteidigung ihres Glaubens. Das Angebot an anderen Glaubensrichtungen wie dem Islam, dem Hinduismus, Buddhismus und den unzähligen protestantischen Sekten ließ die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche zurückgehen. All das war Teufelswerk. Die eine, alleinige wahre apostolische Kirche steckte in der Krise, doch Valendrea wusste genau, dass die Kirche einfach eine feste Hand brauchte. Jemanden, der dafür sorgte, dass die Priester gehorchten, die Mitglieder bei der Stange blieben und die Einnahmen stiegen. Und dafür wollte er Sorge tragen.
Er spürte eine Berührung am Knie und wandte den Blick vom Fenster. »Eminenz, direkt da vorn«, erklärte Ambrosi mit ausgestrecktem Zeigefinger.
Valendrea blickte wieder nach draußen, der Wagen bog ab, und sie passierten eine Straßenzeile voller Cafés, Bistros un d b linkender Diskotheken. Sie fuhren nun auf einer
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