Urbi et Orbi
aufbewahrt.
Die Kufen des Hubschraubers setzten sanft auf dem feuchten Straßenpflaster auf.
Das Heulen der Tragschraube erstarb, und Michener öffnete seinen Sicherheitsgurt. Doch erst als die Rotorblätter vollkommen still standen, öffneten die beiden Leibwächter die Kabinentür.
»Gehen wir?«, fragte Clemens.
Auf dem Flug von Rom hatte der Papst kaum etwas gesagt. Manchmal war es so auf Reisen, und Michener respektierte die Eigenarten des alten Mannes.
Von Clemens gefolgt, trat er auf die Piazza. Eine riesige Menschenmenge hatte sich am Rande des Platzes zusammengedrängt. Die Luft war frisch, doch Clemens hatte es abgelehnt, einen Umhang zu tragen. In der weißen Albe mit dem vor seiner Brust baumelnden Pectorale bot er einen eindrucksvollen Anblick. Der päpstliche Fotograf schoss die ersten Bilder, die der Presse noch vor Tagesende zur Verfügun g s tehen würden. Der Papst winkte, und die Menge erwiderte seinen Gruß.
»Wir sollten uns hier nicht aufhalten«, flüsterte Michener Clemens zu.
Der Sicherheitsdienst des Vatikans hatte nachdrücklich betont, dass die Piazza nicht sicher sei. Der Platz war ein reines Durchgangsobjekt, wie die Sicherheitsteams das nannten. Nur die Kathedrale und die Kapelle waren am Vortag auf Sprengstoff untersucht worden und wurden seitdem bewacht. Dieser Papstbesuch war langfristig arrangiert und in den Medien angekündigt worden. Daher verbrachte man besser möglichst wenig Zeit im Freien.
»Einen Moment noch.« Clemens winkte noch immer den Leuten zu. »Sie sind gekommen, um ihren Papst zu sehen. Dann sollen sie auch etwas davon haben.«
Die Päpste waren in Italien immer großzügig gereist. Das war ein Privileg der Italiener, die zweitausend Jahre lang die Mutter Kirche behütet hatten. Daher nahm Clemens sich die Zeit, sich einen Moment lang der Menge zu widmen.
Schließlich ging der Papst weiter und betrat den Vorbau des Doms. Michener folgte ihm, wobei er absichtlich ein Stück zurückblieb, um der Turiner Geistlichkeit Gelegenheit zu geben, sich an der Seite des Papstes fotografieren zu lassen.
Drinnen erwartete sie Gustavo Kardinal Bartolo. Er trug eine purpurrote Seidensoutane mit ebensolcher Stola, die seinen hochrangigen Status im Kardinalskollegium deutlich machte. Er war ein spitzbübisch wirkender Mann mit weißem, glanzlosem Haar und einem dichten, langen Bart. Michener hatte sich oft gefragt, ob dieses Äußere eines biblischen Propheten Absicht war, denn Bartolo galt weder als intellektuell brillant noch als spirituell erleuchtet. Vielmehr hatte er den Ruf eines loyalen Laufburschen. Er war von Clemens ’ Vorgänger ins Kardinalskollegium berufen und zum Bischof von Turin ernannt worden. Damit befand sich das Grabtuch Jesu in seiner Obhut.
Clemens hatte dem Besuch zugestimmt, obgleich Bartolo einer von Valendreas engsten Verbündeten war. Wen Bartolo im nächsten Konklave wählen würde, stand außer Zweifel, und so musste Michener innerlich schmunzeln, als der Papst direkt auf den Kardinal zuging und ihm die rechte Hand mit der Handfläche nach unten entgegenstreckte. Bartolo verstand sofort, was das Protokoll verlangte, und unter den Augen seiner Priester und Nonnen blieb ihm keine andere Wahl, als die Hand zu ergreifen, sich niederzuknien und den Papstring zu küssen. Normalerweise verzichtete Clemens hinter verschlossenen Türen auf diese Geste und begnügte sich mit einem einfachen Handschlag. Dass der Papst nun auf dem Wortlaut des Protokolls beharrte, war eine Botschaft, die der Kardinal offensichtlich verstand. Michener sah Empörung in seinem Blick aufflackern, die der alte Würdenträger schnell zu unterdrücken suchte.
Bartolos Unbehagen schien Clemens, der begann, Liebenswürdigkeiten mit den anderen Umstehenden auszutauschen, nicht weiter zu stören. Nach ein paar Minuten heiterer Konversation segnete Clemens die zwei Dutzend Anwesenden und ging dann ins Innere des Doms voran.
Michener blieb zurück, seine Aufgabe bestand darin, in der Nähe zu sein, jederzeit abrufbereit, doch für den eigentlichen Ablauf der Zeremonie war er unwichtig. Ihm fiel auf, dass einer der Turiner Geistlichen bei ihm blieb. Er wusste, dass der kleine Priester mit dem schütteren Haar Bartolos Assistent war.
»Bleibt der Heilige Vater zum Essen?«, fragte der Priester auf Italienisch.
Michener gefiel der knappe Tonfall nicht. Er war höflich, doch es schwang auch eine gewisse Gereiztheit darin mit. Offensichtlich lag die Loyalität seines
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