Urbi et Orbi
wirklich sprach. Er trat näher. »Jakob, sagen Sie mir doch, was Sie beunruhigt.«
Clemens ließ den Stoff der Robe los und verschränkte die zitternden Hände vor dem Bauch. »Sie sind sehr naiv, Colin. Sie verstehen einfach nicht, worum es geht. Es ist Ihnen nicht möglich.« Er sprach durch die Zähne, fast ohne die Lippen zu bewegen. Seine Stimme wirkte flach und ausdruckslos. »Denken Sie denn auch nur einen Moment lang, dass wir irgendwo unbelauscht sind? Verstehen Sie denn nicht, wie brennend Valendreas Ehrgeiz ist? Der Toskaner weiß alles, was wir tun und sagen. Sie möchten Kardinal werden? Dann müssen Sie das Maß Ihrer Verantwortung begreifen. Wie können Sie von mir die Ernennung erwarten, wenn Sie nicht sehen, was so klar vor Augen liegt?«
Sie hatten sich in all der Zeit kaum je gestritten, und jetzt tadelte der Papst ihn so scharf? Wofür?
»Wir sind nur Menschen, Colin. Mehr nicht. Ich bin nicht unfehlbarer als Sie. Und doch nennen wir uns Prälaten unserer Kirche. Fromme Geistliche, die nur Gott gefallen wollen. Dabei wollen wir vor allen Dingen uns selbst gefallen. Diese r N arr von Bartolo, der draußen auf uns wartet, ist ein gutes Beispiel. Er fragt sich nur eines, nämlich wann ich sterbe. Dann wird sich sein Los mit Sicherheit ändern. So wie Ihres.«
»Ich hoffe, Sie sagen so etwas nur zu mir.«
Clemens umfasste sanft das Pectorale vor seiner Brust. Danach schien seine Hand nicht mehr zu zittern. »Ich mache mir Sorgen um Sie, Colin. Sie sind wie ein Delfin, der in einem Aquarium gehalten wird. Ihre Wärter haben immer für sauberes Wasser und ausreichende Nahrung gesorgt. Jetzt aber wird man Sie bald im Meer aussetzen. Werden Sie dort überleben?«
Er nahm es Clemens übel, dass er so von oben herab mit ihm redete. »Ich weiß mehr, als Sie vielleicht denken.«
»Sie können sich nicht vorstellen, wie weit ein Mensch wie Alberto Valendrea gehen würde. Er ist kein Mann Gottes. Es hat viele Päpste wie ihn gegeben – habgierige, dünkelhafte Narren, die meinen, jedes Problem allein mit Macht lösen zu können. Ich dachte, solche Päpste gehörten der Vergangenheit an, aber da habe ich mich getäuscht. Sie meinen, Sie könnten es mit Valendrea aufnehmen?« Clemens schüttelte den Kopf . » Nein, Colin. Sie sind ihm nicht gewachsen. Sie sind zu anständig. Zu vertrauensselig.«
»Warum sagen Sie mir das?«
»Weil es gesagt werden muss.« Clemens trat dicht auf ihn zu; sie waren jetzt nur noch Zentimeter voneinander entfernt . » Alberto Valendrea wird die Kirche zugrunde richten – falls ich und meine Vorgänger das nicht schon erledigt haben. Sie fragen mich ständig, was mich beunruhigt. Sie sollten sich nicht so viel um mich sorgen, sondern einfach tun, was ich Ihnen auftrage. Ist das klar?«
Michener war verblüfft über Clemens ’ Grobheit. Er war siebenundvierzig Jahre alt und Monsignore. Privatsekretär de s P apstes. Ein treuer Diener. Warum stellte sein alter Freund nun sowohl seine Loyalität als auch seine Fähigkeiten in Frage? Doch er entschied, nicht zu widersprechen. »Ich habe vollkommen verstanden, Heiliger Vater. «
»Wenn Sie einen Vertrauten brauchen, steht Maurice Ngovi mir näher als jeder andere. Denken Sie daran, wenn es einmal nötig ist.« Clemens trat zurück, nun anscheinend in anderer Stimmung. »Wann brechen Sie nach Rumänien auf?«
»Morgen früh.«
Clemens nickte, griff in seine Soutane und zog einen weiteren taubenblauen Umschlag hervor. »Ausgezeichnet. Würden Sie dies hier bitte für mich zur Post bringen?«
Michener nahm das Päckchen entgegen und las dabei die Adresse: Irma Rahn. Sie und Clemens kannten sich seit ihrer Kindheit. Sie lebte noch immer in Bamberg, und die beiden korrespondierten seit vielen Jahren regelmäßig.
»Wird erledigt.«
»Von hier aus.«
»Entschuldigung?«
»Geben Sie den Brief hier auf. In Turin. Und bitte persönlich. Schicken Sie keinen anderen.«
Er brachte die Briefe des Papstes immer persönlich zur Post, und das hatte man ihm auch nie zu sagen brauchen. Doch wieder entschied er sich, keine Fragen zu stellen.
»Gewiss, Heiliger Vater. Ich gebe den Brief hier auf. Eigenhändig.«
11
Vatikanstadt, 13.15 Uhr
V alendrea ging direkt ins Büro des Archivars der Heiligen Katholischen Kirche. Der für das Geheimarchiv des Vatikans zuständige Kardinal war keiner seiner Anhänger, aber der Mann würde hoffentlich vernünftig genug sein, dem voraussichtlichen künftigen Papst nicht in die Quere zu
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