Urbi et Orbi
Zeit – eine Zeit, die die Kirche den Wissenschaftlern erst seit einigen wenigen Jahrzehnten zugestand. Die einzige Aufgabe von Männern wie dem Kardinal-Archivar bestand darin, die Kirche sogar vor ihren Würdenträgern zu beschützen.
»Nur zu, Alberto. Sagen Sie der Welt, was ich getan habe. In die Riserva lasse ich Sie jedenfalls nicht. Um dort Zutritt zu haben, müssen Sie erst Papst werden. Und das ist noch lange nicht sicher. «
Vielleicht hatte er diesen Sesselfurzer ja doch unterschätzt. Er hatte mehr Statur, als man ihm ansah. Valendrea beschloss, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Zumindest vorläufig. Vielleicht würde er den Kardinal in den kommenden Monaten noch brauchen.
Er ging auf den Ausgang zu. »Wenn ich Papst bin, sprechen wir uns wieder.« Er blieb vor der Bronzetür stehen und warf einen Blick zurück. »Dann werden wir sehen, ob Sie ebenso loyal zu mir halten wie zu anderen.«
12
Rom, 16.00 Uhr
K aterina wartete schon seit kurz nach dem Mittagessen in ihrem Hotelzimmer. Kardinal Valendrea hatte versprochen, sie um 14.00 anzurufen, aber er hatte nicht Wort gehalten. Vielleicht war er der Meinung, zehntausend Euro müssten genügen, um sie bei der Stange zu halten. Vielleicht ging er auch davon aus, dass ihre frühere Freundschaft mit Colin Michener Anreiz genug für sie sei, nach seiner Pfeife zu tanzen. Wie auch immer – dass der Kardinal offensichtlich zu der Überzeugung gekommen war, sie durchschaut zu haben, gefiel ihr ganz und gar nicht.
Gewiss, das Geld, das sie als freie Journalistin in den Staaten verdient hatte, war nahezu aufgebraucht, und sie hatte es satt, sich von Tom Kealy aushalten zu lassen, der ihre Abhängigkeit zu genießen schien. Er hatte an seinen drei Büchern gut verdient, und bald würde er noch viel besser verdienen. Er gefiel sich in seiner Rolle als neueste Kultfigur der amerikanischen Katholiken. Er war süchtig nach Aufmerksamkeit, was bis zu einem gewissen Grad verständlich sein mochte, doch sie kannte Seiten an Tom Kealy, die seinen Anhängern vollkommen unbekannt waren. Gefühle konnte man nicht einfach per Website erzeugen oder mit einem Werbeblättchen verschicken. Wer wirklich Talent hatte, konnte sie mit Worten hervorrufen, doch Kealy war kein guter Schriftsteller. Seine drei Bücher stammten aus der Feder eines Ghostwriters – und das zum Beispiel war etwas, was nur sie und sein Verleger wussten. Kealy wollte auf keinen Fall, dass das an die Öffentlichkeit kam. Der Mann war einfach nicht echt. Nur eine Illusion, der einige Millionen Menschen – er selbst eingeschlossen – sich hingaben.
Ganz anders als Michener.
Es tat ihr Leid, dass sie gestern so verbittert gewesen war. Sie hatte sich vor ihrer Ankunft in Rom vorgenommen, auf ihre Worte zu achten, falls sie Michener traf. Schließlich war das alles schon sehr lange her, und sie hatten sich beide ein eigenes Leben aufgebaut. Doch als sie ihn bei der Gerichtsverhandlung sah, wurde ihr klar, dass er sich unauslöschlich in ihre Gefühle eingegraben hatte. Sie wollte sich nicht eingestehen, wie viel er ihr noch bedeutete, und die Wut auf sich selbst ließ sie ihre Worte vergessen.
Gestern Nacht, als Kealy schon neben ihr schlief, hatte sie sich gefragt, ob ihr eigener mühsamer Weg in den vergangenen zwölf Jahren nur das Vorspiel zu diesem Moment gewesen war. Im Beruf hatte sie alles andere als Erfolg, und ihr Privatleben war desolat. Und doch wartete sie nun darauf, dass der zweitmächtigste Mann der katholischen Kirche sie anrief , damit sie jemanden betrog, der ihr immer noch sehr wichtig war.
Am Vormittag hatte sie sich in italienischen Pressekreisen nach Valendrea erkundigt und erfahren, dass er eine vielschichtige Persönlichkeit war. Er stammte aus einer der ältesten und reichsten italienischen Patrizierfamilien. Unter seinen Vorfahren gab es mindestens zwei Päpste und fünf Kardinäle, und seine Onkel und Brüder bewegten sich entweder in der italienischen Politik oder in internationalen Unternehmerkreisen. Der Valendrea-Klan war außerdem aus dem europäischen Kunstleben nicht wegzudenken und hatte Paläste und große Ländereien in seinem Besitz. Man hatte gegenüber Mussolini Abstand gewahrt und war im Umgang mit den nachfolgenden instabilen italienischen Regierungen, die sich ständig die Klinke in die Hand gaben, noch vorsichtiger gewesen. Als Kapitalisten und Geldgeber war die Familie bis heute umworben, und sie ging mit ihrer Gunst wählerisch um.
Aus dem
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