Urbi et Orbi
würden ihre Probleme alleine lösen müssen.
Es klopfte an der Tür zu seinen Räumlichkeiten.
Er war allein, da er den Hausdiener nach einer Kanne Kaffee geschickt hatte. Also trat er aus seinem Arbeitszimmer, durchquerte den Vorraum und öffnete die Flügeltür zum Korridor. Zwei Schweizergardisten standen mit dem Rücken zur Wand links und rechts der Tür. Zwischen ihnen stand Maurice Kardinal Ngovi.
»Ich hatte mich gefragt, Euer Eminenz, ob wir uns vielleicht einmal kurz unterhalten könnten. Ich rief in Ihrem Büro an und erhielt den Bescheid, Sie hätten sich schon für den Abend zurückgezogen.«
Ngovis Stimme klang leise und gelassen. Valendrea fiel auf, dass er die förmliche Anrede »Euer Eminenz« verwendet hatte, gewiss, weil die Gardisten mithörten. Da Colin Michener derzeit durch Rumänien zog, hatte Clemens offensichtlich die Aufgabe des Laufburschen an Ngovi delegiert.
Er bat den Kardinal herein und gab den Wächtern Anweisung, dass sie nicht gestört werden wollten. Dann führte er Ngovi in sein Arbeitszimmer und bot ihm einen Platz auf einer vergoldeten Polsterbank an.
»Ich würde Ihnen gerne eine Tasse Kaffee anbieten, aber der Hausdiener ist gerade unterwegs, um welchen zu holen.«
Ngovi wehrte mit einer Handbewegung ab. »Das ist nicht nötig. Ich bin zum Reden gekommen. «
Valendrea setzte sich. »Nun, was möchte Clemens?«
»Ich selbst möchte etwas. Was haben Sie mit Ihrem gestrigen Besuch beim Archivar bezweckt? Was sollte diese Einschüchterung des Kardinalarchivars? So etwas ist ungeheuerlich. «
»Ich wüsste nicht, dass die Archive in den Zuständigkeitsbereich der Kongregation für das Katholische Bildungswesen fallen. «
»Beantworten Sie meine Frage.«
»Dann sind Sie also doch in Clemens ’ Auftrag hier.«
Ngovi schwieg, eine Taktik, die der Afrikaner, wie Valendrea aufgefallen war, häufig anwandte – und die ihn selbst dazu brachte, zu viel zu verraten.
»Sie beriefen sich dem Archivar gegenüber auf eine Mission, die für die Kirche von größter Bedeutung sei. Und außergewöhnliche Maßnahmen erfordere. Wovon sprachen Sie da?«
Valendrea fragte sich, wie viel der Schlappschwanz aus dem Archiv wohl weitergegeben haben mochte. Gewiss hatte er seine eigene Sünde, die Vergebung einer Abtreibung, nicht gestanden. Das hatte der alte Trottel sich bestimmt nicht getraut. Oder doch? Valendrea beschloss, dass Angriff die beste Verteidigung war. »Wir beide wissen, dass Clemens vom Fatima -G eheimnis besessen ist. Immer wieder geht er in die Riserva.«
»Das ist das Vorrecht des Papstes. Es ist nicht an uns, das zu hinterfragen.«
Valendrea beugte sich im Sitzen vor. »Warum macht sich unser guter Pontifex so große Sorgen um etwas, was alle Welt schon weiß?«
»Diese Frage steht weder Ihnen noch mir zu. Johannes Paul II. hat meine Neugierde mit der Enthüllung des dritten Geheimnisses befriedigt.«
»Sie waren an der Kommission beteiligt, nicht wahr? Der Prüfkommission, die das Dokument analysierte und die offizielle Interpretation verfasste, die mit dem Geheimnis veröffentlicht wurde?«
»Ich hatte die Ehre. Ich hatte mich schon lange für die Abschlussbotschaft der Jungfrau interessiert.«
»Aber der Text entsprach den vorher geweckten Erwartungen so ganz und gar nicht. Er sagte kaum etwas aus, abgesehen von den üblichen Aufforderungen zur Buße und zum Glauben. «
»Er sagte einen Anschlag auf den Papst voraus.«
»Das erklärt, warum die Kirche die Verkündigung all die Jahre unter Verschluss hielt. Man wollte schließlich nicht irgendeinen Irren auf die Idee bringen, er müsse im Auftrag Gottes den Papst erschießen.«
»Wir halten das für das Motiv hinter Johannes ’ XXIII. Anordnung, das Geheimnis zu versiegeln.«
»Und was die Jungfrau vorhergesagt hat, ist eingetreten. Jemand hat versucht, Paul VI. zu erschießen, und dann schoss dieser Türke auf Johannes Paul II. Aber das beantwortet nicht meine Frage, warum Clemens das Bedürfnis hat, immer wieder die ursprüngliche Niederschrift zu lesen.«
»Ich kann nur wiederholen: Es steht weder Ihnen noch mir zu, das zu hinterfragen.«
»Es sei denn, einer von uns beiden würde Papst.« Er wartete ab, ob sein Gegner den Köder schluckte.
»Sie sind nicht Papst, und ich bin es auch nicht. Ihr Versuch war eine Verletzung des kanonischen Gesetzes.« Ngovis Stimme blieb ruhig, und Valendrea fragte sich, ob dieser gelassene Mann jemals die Beherrschung verlor.
»Wollen Sie mich verklagen?«
Ngovi
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