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Urbi et Orbi

Urbi et Orbi

Titel: Urbi et Orbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: berry
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wird vieles erdulden müssen, und zahlreiche Nationen werden zugrunde gehen. Und das alles nur, weil einige Päpste ihre eigenen Wünsche über Gottes Willen stellten.« Tibor machte keinen Versuch, seinen Zorn zu verbergen. »Und dann, innerhalb von sechs Jahren nach der Weihe Russlands, ist der Kommunismus gescheitert.« Tibor massierte sich die Stirn. »Noch nie hat Rom eine Marienerscheinung förmlich als Offenbarung anerkannt. Bestenfalls wird eine Erscheinung als Privatoffenbarung eingestuft. Die Kirche will nicht zugeben, dass Visionäre etwas Wichtiges zu sagen haben. «
    »Aber das ist doch nur vernünftig«, entgegnete Michener.
    »Ach ja? Die Kirche erkennt an, dass die Jungfrau erschienen ist, sie ermutigt die Gläubigen, an das Ereignis zu glauben, wertet aber alles ab, was die Seher sagen? Sehen Sie da nicht einen Widerspruch?«
    Michener antwortete nicht.
    »Denken Sie es einmal zu Ende«, fuhr Tibor fort. »Seit dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870 wird der Papst bei Verkündigung einer Glaubenswahrheit als unfehlbar betrachtet. Was würde wohl mit dieser Vorstellung geschehen, wenn man plötzlich den Worten eines einfachen Hirtenkindes mehr Gewicht beilegte?«
    So hatte Michener die Sache bisher nie betrachtet.
    »Die Lehrhoheit der Kirche würde enden«, erklärte Tibor . » Die Gläubigen würden sich anderswo Führung suchen. Rom wäre nicht mehr der Mittelpunkt. Das aber konnte man nicht zulassen. Die Kurie muss unter allen Umständen weiter bestehen, egal um welchen Preis. So war es immer.«
    »Aber Hochwürden«, warf Katerina ein. »Die Geheimnisse von Fatima nennen konkrete Orte, Daten und Zeitspannen. Russland und der Papst werden namentlich erwähnt. Es ist die Rede von Papstattentaten. Lässt die Kirche da nicht einfach nur Vorsicht walten? Diese so genannten Geheimnisse unterscheiden sich so gründlich vom Evangelium, dass man sie durchaus berechtigt als verdächtig einstufen könnte.«
    »Ein berechtigter Einwand. Aber wir Menschen neigen dazu, etwas, womit wir nicht einverstanden sind, einfach zu übergehen. Vielleicht waren da aus Sicht des Himmels konkretere Anweisungen nötig. Diese konkreten Details , die Sie erwähnten. «
    Michener sah die Erregung in Tibors Gesicht. Seine Hände umklammerten nervös den leeren Bierkrug. Es folgte ein kurzes, angespanntes Schweigen, dann beugte der alte Mann sich vor und deutete auf den Umschlag.
    »Sagen Sie dem Heiligen Vater, er soll der Madonna gehorchen. Er soll weder diskutieren noch ihren Befehl missachten, sondern ihren Auftrag einfach ausführen.« Seine Stimme klang flach und ausdruckslos. »Sagen Sie ihm, dass wir beide, er und ich, uns andernfalls sehr bald im Himmel wiedersehen, und dann erwarte ich, dass er die Schuld auf sich nimmt.«
    20
    22.00 Uhr
     
    M ichener und Katerina traten aus der Metro und gingen aus der U-Bahnstation in die frostkalte Nacht hinaus. Vor ihnen lag der ehemalige Königliche Palast Rumäniens, dessen bröckelnde Fassade von Natriumdampflampen gelblich erleuchtet war. Die Pia þ a Revolu þ iei erstreckte sich in alle Richtungen, und auf dem feuchten Kopfsteinpflaster wimmelte es von Menschen in dicken Wollmänteln. Dahinter kroch der Verkehr durch die Straßen. Die kalte Luft roch nach Abgasen und kratzte Michener im Hals.
    Er beobachtete, wie Katerina den Platz aufmerksam betrachtete. Ihr Blick heftete sich auf das ehemalige Zentralkomitee, einen monolithischen Klotz aus stalinistischen Zeiten, und er sah, dass sie den Balkon ins Auge fasste.
    »Von dort hat Ceau º escu in jener Nacht damals seine Rede gehalten.« Sie zeigte nach Norden. »Ich stand da drüben. Das war vielleicht ein Ding. Dieser aufgeblasene Sack stellte sich einfach da ins Licht und behauptete, alle hätten ihn lieb.« Das Gebäude ragte finster vor ihnen auf. Offensichtlich war es nicht mehr wichtig genug, um beleuchtet zu werden. »Fernsehkameras haben die Rede aufgezeichnet und im ganzen Land live übertragen. Er war mordsmäßig stolz auf sich, aber auf einmal skandierten wir alle: › Timi º oara, Timi º oara ‹ . «
    Michener wusste Bescheid über Timiºoara, eine Stadt im Westen Rumäniens, wo ein einzelner Priester endlich den Mund aufgemacht und Ceauºescu öffentlich verurteilt hatte. Als die regierungstreue rumänisch-orthodoxe Kirche den Priester abrief, kam es im ganzen Land zu Aufständen. Sechs Tage später brach vor Ceauºescus Augen auf der Piaþa Revoluþei die Hölle los.
    »Du hättest Ceau º escus Gesicht sehen

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