Urbi et Orbi
schwanden.
Irgendwie wusste er, dass an diesem Tag keiner seinem geliebten Freund Schaden zufügen würde.
U m vierzehn Uhr kehrten sie zur Papstvilla zurück. Im Wintergarten erwartete sie ein leichtes Essen, und Clemens lud Michener ein, ihm Gesellschaft zu leisten. Sie aßen schweigend und genossen die Blumen und den wunderbar sonnigen Novembernachmittag. Der Swimmingpool vor dem Wintergarten lag unberührt da. Er war so ziemlich der einzige Luxus, auf dem Johannes Paul II. bestanden hatte. Als die Kurie sich über die Kosten beschwerte, hatte er entgegnet, ein neuer Papst sei wesentlich teurer.
Das Mittagessen war eine herzhafte Rinderbrühe mit Gemüseeinlage, eins von Clemens ’ Lieblingsessen. Dazu gab es Schwarzbrot. Michener hatte eine Schwäche für dieses Brot. Es erinnerte ihn an Katerina. Damals hatten sie solches Brot oft zum Kaffee oder zum Abendbrot gegessen. Wo sie wohl jetzt sein mochte? Und warum sie das Bedürfnis gehabt hatte, Bukarest zu verlassen, ohne sich von ihm zu verabschieden? Er hoffte, dass er sie eines Tages Wiedersehen würde, vielleicht nach dem Ende seiner Zeit im Vatikan. Dann wäre er vielleicht an einem Ort, wo es keine Männer wie Alberto Valendrea gab und keiner sich darum kümmerte, was er so trieb. Vielleicht könnte er dann seinem Herzen folgen.
»Erzähl mir von ihr«, sagte Clemens.
»Woher wussten Sie, dass ich an sie gedacht habe?«
»Das war nicht schwer zu erraten.«
Er wollte tatsächlich über sie reden. »Sie ist anders. Vertraut, aber auf eine schwer definierbare Art.«
Clemens trank Wein aus seinem Kelchglas.
»Ich kann mich einfach des Gedankens nicht erwehren«, fuhr Michener fort, »dass ich ein besserer Priester wäre und ein besserer Mensch, wenn ich meine Gefühle nicht unterdrücken müsste.«
Der Papst setzte sein Glas auf den Tisch. »Ihre Verwirrung ist verständlich. Der Zölibat ist falsch.«
Michener hörte auf zu essen. »Ich hoffe, dass Sie diese Schlussfolgerung sonst keinem mitgeteilt haben.«
»Wenn ich nicht einmal Ihnen gegenüber ehrlich sein kann, wem gegenüber denn dann?«
»Wann haben Sie dieses Fazit denn gezogen?«
»Das Konzil von Trient liegt lange zurück. Und doch halten wir heute, im einundzwanzigsten Jahrhundert, an einer Lehre aus dem sechzehnten Jahrhundert fest.«
»Das ist die katholische Art.«
»Das Konzil von Trient wurde als Reaktion auf die protestantische Reformation einberufen. Diese Schlacht haben wir verloren, Colin. Die Protestanten sind hier und werden hier bleiben.«
Er verstand, was Clemens damit sagen wollte. Das Konzil von Trient hatte den Zölibat bestätigt, da er für die Glaubensverkündigung unabdingbar sei, göttlichen Ursprung hatte man ihm jedoch nicht zugeschrieben. Was hieß, dass die Kirche diese Vorschrift nach Gutdünken ändern konnte. Die beiden einzigen Konzile nach Trient, das Erste und das Zweite Vatikanische Konzil, hatten diese Frage jedoch ausgeklammert. Jetzt stellte der Pontifex Maximus, der einzige Mann, der wirklich etwas ändern konnte, diese Zurückhaltung in Frage.
»Was wollen Sie damit sagen, Jakob?«
»Ich sage gar nichts. Ich unterhalte mich nur mit einem alten Freund. Warum dürfen Priester nicht heiraten? Waru m m üssen sie keusch leben? Warum soll das, was anderen Menschen gestattet ist, den Geistlichen verboten sein?«
»Ich persönlich stimme Ihnen vollkommen zu. Aber die Kurie würde das wohl anders sehen.«
Clemens schob den leeren Suppenteller beiseite und stützte sich auf den Tisch. »Genau das ist das Problem. Die Kurie wird immer alles bekämpfen, was ihr Weiterbestehen bedroht. Wissen Sie, was einer dieser Bürokraten mir vor ein paar Wochen gesagt hat?«
Michener schüttelte den Kopf.
»Er erklärte, der Zölibat müsse weiterbestehen, weil sonst die Kosten für die Priester explodieren würden. Wir müssten zig Millionen für höhere Gehälter aufwenden, weil Priester dann Frau und Kind zu ernähren hätten. Können Sie sich das vorstellen? Das ist die Logik der Kirche.«
Michener war zwar einer Meinung mit dem Papst, fühlte sich aber zu einem Einwand genötigt: »Wenn Sie den Zölibat auch nur andeutungsweise antasten, liefern Sie Valendrea einen willkommenen Vorwand, die Kardinäle gegen Sie aufzuhetzen. Vielleicht würde offener Widerstand ausbrechen.«
»Aber das ist ja gerade der Vorteil des Papsttums. Ich kann eine Lehrmeinung mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit verkünden. Ich habe immer das letzte Wort. Ich brauche niemandes
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