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Urbi et Orbi

Urbi et Orbi

Titel: Urbi et Orbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: berry
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Zustimmung und kann auch nicht abgewählt werden.«
    »Auch die Unfehlbarkeitslehre wurde von der Kirche geschaffen«, rief Michener Clemens in Erinnerung. »Der nächste Papst könnte sie aufheben, genauso wie alles, was Sie jetzt tun. «
    Der Papst zwickte sich in den Handballen, eine nervöse Angewohnheit, die Michener schon früher bei ihm gesehen hatte. »Ich hatte eine Vision, Colin.«
    Die Worte waren kaum zu hören, und Michener brauchte einen Moment, um sie wirklich zu kapieren. » Was hatten Sie ?«
    »Die Jungfrau hat mit mir gesprochen.«
    »Wann?«
    »Vor vielen Wochen, unmittelbar nach Hochwürden Tibors erstem Brief. Deshalb ging ich in die Riserva. Sie hat es mir auf getragen.«
    Erst hatte der Papst darüber geredet, ein seit fünfhundert Jahren gültiges Dogma auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern. Nun verkündete er Marienvisionen. Michener begriff, dass dieses Gespräch unbedingt unter vier Augen bleiben musste, doch dann hatte er wieder Clemens ’ Worte in Turin im Ohr: Denken Sie denn auch nur einen Moment lang, dass wir im Vatikan unbelauscht sind?
    »Ob es klug ist, davon zu reden?« Michener hoffte, ihm durch seinen Tonfall eine Warnung zu übermitteln. Doch Clemens schien ihn nicht zu hören.
    »Gestern ist sie mir in der Kapelle erschienen. Ich sah auf, und da schwebte sie vor mir, umstrahlt von blauem und goldenem Licht, das einen Heiligenschein bildete.« Der Papst stockte. »Sie sagte mir, ihr Herz sei von einem Dornenkranz umschlossen. Es werde von den Gotteslästerungen und der Undankbarkeit der Menschen durchbohrt.«
    »Hat sie das wirklich gesagt?«, fragte Michener.
    Clemens nickte. »Sie hat sich deutlich ausgedrückt. Ich bin nicht senil, Colin. Es war eine Erscheinung, dessen bin ich mir sicher.« Der Papst hielt inne. »Johannes Paul II. hatte dasselbe Erlebnis.«
    Michener wusste davon, erwiderte aber nichts.
    »Wir sind unwissende, dumme Menschen«, sagte Clemens.
    Michener hatte die Rätsel satt.
    »Die Jungfrau trug mir auf, nach Medjugorje zu gehen.«
    »Deshalb muss ich dorthin reisen?«
    Clemens nickte. »Dann werde sich alles klären, sagte sie.«
    Es folgte ein kurzes Schweigen. Michener wusste nicht, was er sagen sollte. Man konnte schlecht mit dem Himmel diskutieren.
    »Ich habe Valendrea das Dokument in der Fatima-Schatulle lesen lassen«, flüsterte Clemens.
    Michener war verwirrt. »Was ist es?«
    »Ein Teil dessen, was Hochwürden Tibor mir geschickt hat. «
    »Sagen Sie mir jetzt, was es ist?«
    »Das darf ich nicht.«
    »Warum haben Sie es dann Valendrea lesen lassen?«
    »Um seine Reaktion zu testen. Er hatte sogar Druck auf den Archivar gemacht, um die Schatulle öffnen zu können. Nun weiß er genauso viel wie ich.«
    Michener wollte nachhaken, doch da klopfte es ganz leicht an die Tür des Wintergartens. Einer der Hausdiener trat ein, ein zusammengefaltetes Blatt Papier in der Hand. »Das hier ist gerade eben per Fax aus Rom eingetroffen, Monsignore Michener. Das Deckblatt trägt das Kennzeichen DRINGEND .«
    Michener nahm das Blatt entgegen und dankte dem Hausdiener, der gleich darauf den Raum verließ. Er faltete die Seite auf und las die Nachricht. Dann blickte er Clemens an und sagte: »Der Nuntius in Bukarest hat vor kurzem einen Anruf erhalten. Hochwürden Tibor ist tot. Die Leiche wurde heute Vormittag aufgefunden. Sie trieb in einem Fluss nördlich der Stadt. Man hat ihm die Kehle durchschnitten, und er ist offensichtlich von einem Felsen in den Fluss gestürzt worden. Sein Wagen wurde in der Nähe einer alten, aufgegebenen Kirche gefunden, die er regelmäßig besuchte. Die Polizei tippt auf einen Raubmord. Dort wimmelt es nur so von Gangstern. Man hat mich informiert, da eine der Nonnen im Waisenhaus dem Nuntius von meinem Besuch erzählte. Nun fragt dieser sich, warum ich unangemeldet bei Tibor hereinschneite.«
    Aus Clemens ’ Gesicht wich alle Farbe. Der Papst bekreuzigte sich und faltete die Hände zum Gebet. Michener beobachtete, wie der alte Mann die Augen zusammenkniff und lautlos die Lippen bewegte.
    Dann liefen Clemens Tränen übers Gesicht.
    27
    16.00 Uhr
     
    M ichener hatte während des ganzen Nachmittags über Hochwürden Tibor nachgedacht. Er war im Park der Papstvilla spazieren gegangen und hatte sich bemüht, das Bild, wie die blutige Leiche des alten Bulgaren aus dem Fluss gefischt wurde, aus seinen Gedanken zu verbannen. Schließlich ging er zur Kapelle, vor deren Altar die Päpste und Kardinäle schon seit

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