Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
»Wahrheit« in meinen Büchern, insbesondere Journalen, und den Romanfiktionen – zurück; offensichtlich bin ich der zubereiteten Falle gelächtererntend ausgewichen, und zwar mit billigen Tricks. Ihm geht es darum, daß er auch in den Journalen, handle es sich um den Liebesfleischwolf mit Odile, handle es sich um die Vaterfigur und den Schock des Vaterverlusts in der Kindheit, eine Fiktionalisierung, wenn nicht Schönschreibung des (verdrängten) Sachverhalts zu konstatieren vermeint dergestalt, daß es sich zwischen Journal und Fiktion einzig um graduelle Unterschiede der Literarisierung handle. Um Dunkelzonen. Das hat ja auch schon Derivière in seinem Essay festgestellt, nämlich daß man über mein Leben, insbesondere auch die Kindheit, im Grunde so gut wie nichts erfahre. Auch der erzählende Clochard in Hund will ja keine Geschichte, kein Erkennungsbild. Er will im dunkeln bleiben. Statt dessen die SELBSTERFINDUNG. »Ich bin meine eigene Erfindung.« Warum? Offenbar geht mein Schreiben oder besser dessen schöpferische Energie von einer Leerstelle aus, einem Verschwiegenen, vergleichbar dem Loch in Perecs Dichtung oder derjenigen von Danilo Kiš.
Und was Jocks interessiert, sind die Gründe für diese schöpferischen Maßnahmen. Er meint, hier an diesem Punkt einem künstlerischen Movens auf die Spur kommen zu können. Mit Recht. Alles was bei mir mit Herkunfts- oder Ursprungsbedingungen zu tun hat, ist in eine melancholisch-geheimnisvolle Trübnis getaucht, so im Haus -Buch, so im Wal . Alles muß vom Unglück beglaubigt werden. Und wenn ich es recht bedenke, ist meine Kindheit zu (großen) Teilen der innerlichen Überwindungsarbeit eines klaffenden Mankos gewidmet. Die Überwindung hat das Gewicht von Schutzmaßnahmen bis Maskeraden und reicht bis zu heroischen Romantisierungen. Hier der Ursprung meiner Dichtung. Heroisierung des Vaters, Heroisierung der familiären Dekadenz. Zuschreibung.
Es muß ein unerträglicher Schmerz federführend gewesen sein, die bare Unannehmbarkeit. Eine wahre Flucht in die Literatur (als Wahlmöglichkeit oder Reparatur). Eine Zeitlang: Mühe, die eigene Kraft nicht nur zu leben, sondern sichtbar werden zu lassen. Verbot? Literatur als Lügenmanöver? Emigration bzw. Untertauchen als Überlebenspraxis.
Ich stoße auf Kinderfotos aus der Primarschulzeit. Ich sehe einen glücklichen Jungen. Zudem ist der Junge wie ein Prinz gekleidet und geht in einem selbstgewissen oder selbstvergessenen prinzlichen Bewußtsein einher (Nabokov). Er steht im Licht, im Glück. Und dann, um zwölf, würde ich annehmen, setzt die Bedrückung ein. Und mit der Bedrückung das Wegschreiben des Unglücks. Ich dachte immer, der Einschnitt sei der Tod des Vaters gewesen. Es muß vorher gewesen sein, möglicherweise nach der Bemerkung eines Schulkameraden, finsterlichen Burschen aus ganz armen Verhältnissen, der Vater Schneider und Fischer, und wie es bei denen zu Hause übel roch, Armeleutewohnung, im Unterschied zu unserer, die in den Augen des armen Burschen das Aussehen einer großbürgerlichen gehabt haben dürfte; der Junge durfte bei mir zu Hause spielen, es gab eine Menge von Spielzeugen, einen ganzen Schrank voll, darunter ganze Armeen von Zinnsoldaten mit einer dazugehörigen Burg aus Papiermaché; und so spielten wir denn, und zwischendurch gab es wohl Kuchen und Getränk, und da entschlüpfte dem Jungen die Bemerkung, mein Vater sei (bloß) ein Papierschweizer, ein eingekaufter Staatsangehöriger, und ich? Wußte ich, was das Wort bedeutete? Schmach, Unebenbürtigkeit, Minderwertigkeit, das Wort fiel ja während des Kriegs, da Urschweizer und stubenreine Patrioten gefragt waren und nicht Papierschweizer. Damit im Zusammenhang situiere ich den Verlust des Grundvertrauens, das Heroisieren des Vaters, des Ausländertums; daher rührt wohl auch mein Hochhalten des Exils, rühren sowohl das Elitäre im Sinne geistiger Überlegenheit wie »ich will im dunkeln bleiben«; sowohl das Angriffige, Aggressive meines Naturells (als Kompensierung) wie das Verstockte, kurzum: die Selbsterfindung : Aber auch das Randgängerische und allem Rudelmäßigen Abholde. Ich gehöre im Grunde nicht dazu. Mein Superindividualismus rührt daher. Meine Niemandszugehörigkeit. Ein seltsames Wort, taucht schon im Canto auf. Auch die Eheschwierigkeit mag von daher kommen, das fehlende Vertrauen. Die strikt gezogenen Grenzen. Interessant immerhin die unmißverständlichen Aspekte eines Höherstehens, sowohl von einer
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