Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
»Abenteuer« stürzen (darauf einlassen) bei meiner Ehe- und Familienbindung? Ist es Zufall, daß ich gerade jetzt, ich meine zum jetzigen Zeitpunkt, im gewissermaßen hohen Alter und vertraglich gezwungen, mich auf eine Begebenheit meiner jungen Jahre, meiner Römer-Zeit, einzulassen, zu Hoehme zurückfinden mußte, dem längst verstorbenen Gefährten von damals und Zeugen dieser Geschichte?
Ich müßte den damaligen deutschen Botschaftsrat, an dessen Namen ich mich jetzt nicht erinnern kann, noch einbringen, der mich zu Empfängen einlud und nach Abgang der Gäste auf nicht gerade zähneknirschende Art, doch über seinen eigenen Schatten springend, wenn denn das etwas besagen sollte, verwöhnte. Duldete? Vermutlich war ich sein Alibi für etwas oder sein Sorgenkind, oder ich verkörperte die Freiheit nah an der Grenze des Verkommenseinkönnens.
Ich will mich jetzt noch nicht auf die Frage festlegen, was in dem Stoff stecke. Ich kann ja irgendwie immer dann erst loslegen, wenn ich die Fährte und damit den begrabenen Hund wittere, womit ich die tiefere Thematik, die für eine weitere Menschheit womöglich von Belang sein könnte, meine. Diese Thematik ist bei mir immer eine überaus subtile, mehr auszuschweigende und einzukreisende als publik zu machende, und damit mag der Umstand meiner kleinen Leserschaft zu tun haben. Die meisten Erfolgsbücher haben eine in der Aktualität oder Geschichte möglichst skandalös verankerte Thematik, was soll’s.
Natürlich ist Maria von vornherein gleichbedeutend mit Illusion. Einer Illusion verfallen und dies in vollem Bewußtsein der Sachlage, und dieser Illusion das halbe eigene und das ganze Leben der Angehörigen, wenn nicht opfern, so doch aufs Spiel setzen. Was wäre die Illusion? Vielleicht müßte ich viel weiter gehen in der Novelle, als ich es in der Biographie wagte. Ich hätte mich auf die Liebesgeschichte eingelassen, hätte Frau und Kinder verlassen, wäre zusammen mit Maria abgestiegen in eine miese Armeleuterealität, in welcher sich der Falterstaub der Verheißung sehr schnell in den Staub der miesesten Stubenluft verwandelte. Ich hätte auch meine eigenen Lebensaussichten vertan, ich hätte mich mit einer vielleicht bald einmal gehaßten Prostituierten zusammengefunden, in den scheußlichsten Umständen. Was wäre der Abtausch gewesen?
Eine Art Joseph Conradsche Verbannung. Der Traum der Liebe ist der Traum der Neuwerdung, ein falsch verstandener Akt der freien Entscheidung zu einem anderen Ich und damit verbundenen, frei gewählten anderen Leben. Man wird als viele geboren und endet und stirbt als einer. War Maria das Angebot eines Gefährts zu einem anderen Leben, einer anderen Ich-Erfindung? Und hätte ich sie, kaum des Irrtums gewahr, kältesten Herzens geopfert, um, ja um was dagegen einzutauschen? Eine Art Lebensverweigerung … Hat es mit dem Vater zu tun? War es Valérie, die mir in London neulich zu verstehen gab, ich müßte einmal den Dreckskerl von einem verantwortungslosen Vater ans Licht bringen? Die Ankunft in Rom wie eine Auswandererfamilie. Die zwei kleinen Kinder. Die junge hübsche schon ein wenig von Bitterkeit oder Enttäuschung benagte Gattin. War es das, was der deutsche Botschaftsrat in mir spürte, den Mut zum Abstieg (so nah am Lebensbeginn), der Karriere-Klotz, der dann ja auch sehr bald seinen ersten Botschafterposten antrat? Vielleicht war ich der glänzende Pokal eines ihm unmöglichen, unvorstellbaren und darum nur um so kostbareren Mutwillens zum Untergang, was er in meiner verantwortungslosen Person hätschelte. Der Ablaß. Sündenablaß. Er hätte mich ja einfach rausschmeißen können, mich, den letzten Gast, den unwichtigsten überdies.
Eine Art Onetti-Geschichte. Angesiedelt in miesem Lebensabstellraum ohne Glanz ohne Flitter ohne Traum. Ich bin ja in Wirklichkeit bis an die Schwelle einer solchen Abstiegsniederung gegangen, zu ihr in die anrüchige Pension gezogen, wo einfach kein Aufenthaltsangebot winkte, und noch später habe ich vorübergehend ein Zimmer bei einer römischen oder deutsch-römischen Aristokratin Nähe Campo de’ Fiori gemietet, mit Maria-Hoffnungen im Hinterkopf, Hoffnungen, sie empfangen zu können; und in diesem Zusammenhang kommt mir die Piazza Argentina in den Sinn, weil sich dort eine Bar mit Neonschrift wie für eine Ambulanzstation befand, ich stellte mir die Bar als amourösen Treffpunkt vor, so etwas. Also bis an eine Schwelle der Abstiegsrealisierung geschritten; und hinzu kam Marias
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