Urlaub fuer rote Engel
Hand, weilzwei deutsche Gruppen auf dem Markt sich einen tödlichen Preiskampf liefern würden.« Jüttemann: »Wenn man das alles weiß,
kann man die Ohnmacht, die sich hier nun anstelle der Empörung und Auflehnung breitgemacht hat, verstehen.«
In der Nacht zum Freitag schneit es im Eichsfeld. Die rotbraune Abraumhalde verwandelt sich in einen Alpengletscher. Die Hauptstraße
vor dem Bergwerk ist geräumt. Aber rechts und links kaum eine Fußspur im jungfräulichen Schnee. Auch um das Gebäude, in dem
vor sieben Jahren die wolgadeutschen Aussiedler lebten, entdecke ich keine Fußstapfen. Damals hatte mir Anatoli Kusnezow,
der noch nicht 50-jährige Traktorist aus einem Dorf bei Kamyschin, gesagt: »Ich bin nach Deutschland gekommen, um hier zu
arbeiten. Nun wohne ich neben einem toten Bergwerk und schäme mich vor den Bergleuten.«
Ich frage einen Mann, der gegenüber den Aussiedlerwohnungen vor seinem Haus Schnee schippt, nach den Wolgadeutschen. »Die
sind weg. Eine Frau aus dem hessischen Philippsthal hat die Baracken gekauft. Verdient sich mit Asylanten, mit Schwarzen,
ihr Geld.«
Ich frage, wie ich hineinkäme in das Heim?
Das wisse er nicht, und ich sollte es besser bleibenlassen. Er flucht: »So weit sind wir Kalikumpel, die mal das weiße Gold
gefördert haben, gekommen. Sind gerade noch gut genug, damit sich diese Schwarzen hier einnisten!«
Vor einer der Wellblechbaracken – Fensterrahmen und Dachrinne blau gestrichen – finde ich einen schmalen getrampelten Fußweg
im Schnee. An der Haustür einSchild: »Betreten für Fremde verboten! Keine Übernachtungen!« Im ersten Stock sitzt der Heimleiter. Der 53-Jährige (»Das hier
ist meine letzte Chance«) hat von 1964 bis 1971 in der Grube gearbeitet, danach ist er zur Polizei gegangen. Das Heim, sagt
er, werde mit 70 Asylanten belegt. Im Moment wären 13 hier.
»Alles Afrikaner?«, frage ich.
»Ne, nur vier Neger!« Aber passieren könnte hier nichts, hier außerhalb von Bischofferode auf dem alten Werksgelände.
Mich friert. Vielleicht sollte ich auf einen Kaffee bei Bürgermeister Helmut Senger vorbeigehen? Pfarrer Klapproth hatte mir
von ihm erzählt. Der ehemalige Ingenieur im Kaliwerk leite im neuen Gewerbegebiet einen kleinen Metallbetrieb. Außerdem sei
er Mitglied im Kirchenvorstand und habe die letzte Wahl gegen seinen Vorgänger mit deutlichem Vorsprung gewonnen. Allerdings
nicht wieder für die CDU, sondern für die PDS! Ja, ich hätte richtig gehört: In Bischofferode (im katholischen Eichsfeld wählt
man mit übergroßer Mehrheit immer CDU), in Bischofferode, wo 1990 fast 90 Prozent für die Christdemokraten gestimmt hatten,
regiert heute ein PDS-Bürgermeister, der Unternehmer und Kirchenvorstand Helmut Senger.
Ich finde seinen Metallbetrieb in der ehemaligen Kalizentralwerkstatt. In der Halle lärmen alte Maschinen. Ein Schlosser –
»Herbert Apelt, schon über 30 Jahre in der Werkstatt« – bedauert: Helmut Senger sei nach Kassel gefahren, um bei »Kali und
Salz« neue Aufträge zu besorgen. »Wir bauen für den nun einzigen deutschen Kalianbieter Schieber und Filter und andere Teile.
Diehaben das hier schließen lassen, wir haben unter Helmuts Leitung weitergemacht, und jetzt liefern wir an ›Kali und Salz‹.
Das ist für die allemal billiger, als wenn sie unsere Werkstatt übernommen hätten.«
Statt in Sengers Metallbetrieb bekomme ich den ersehnten Kaffee bei dem 60-jährigen Unternehmer Georg Nolte, den Ministerpräsident
Bernhard Vogel als einen der erfolgreichsten Investoren Thüringens ausgezeichnet hat. Georg Nolte hat die Halle, in der die
Kalikumpel früher Verstelleinrichtungen für Wartburgautositze herstellten (wegen des Konsumgütermangels mussten in der DDR
alle Betriebe zusätzlich betriebsfremde Konsumgüter produzieren), und eine Tischlerei gekauft. Fertigt Bretter und Schichtbalken
und ist einer von 20 Investoren – fast alle aus dem Osten –, die sich im Gewerbegebiet auf dem Gelände des ehemaligen Kaliwerkes
angesiedelt haben. »Insgesamt 700 bis 1.000 neue Dauerarbeitsplätze hatte der Ministerpräsident den Kumpels zur Beruhigung
versprochen, plus 32 Millionen Mark für ein Gewerbegebiet. 25 Millionen sind in den sieben Jahren verbaut worden, aber nur
200 neue Arbeitsplätze entstanden, davon nur 60 für arbeitslose Kumpels und leider keine Dauerarbeitsplätze.« Georg Nolte
hat in seinem Unternehmen 30 Bergleute zu »Holzwürmern« umschulen
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