Urlaub fuer rote Engel
lassen. Er ist »Zementer«, war bis zu seiner Entlassung
1990 Investbaudirektor im Eichsfelder Zementwerk Deuna. Danach Baustoffhändler. Und fand endlich eine Bank – »an wie viele
Banktüren ich vergeblich als Ossi geklopft habe, kann ich Ihnen nicht aufzählen« –, die ihm 7 Millionen DM Kredit gewährte,
um in Bischofferode einen Betrieb aufzubauen. »In einemGewerbegebiet, in das kaum ein Westdeutscher kommt, denn für die meisten von ihnen ist Bischofferode immer noch der Ort der
aufmüpfigen roten Ossi-Proletarier.« Außerdem würde Bischofferode heute kein Fremder finden. »Oder haben Sie nach dem Verlassen
der Bundesstraße bei Worbis ein Hinweisstraßenschild ›Bischofferode‹ gesehen? Nicht eins.« Die Gegend veröde. Trotz des Gewerbegebietes,
trotz neuer Gehwege und moderner Straßenlampen – keine Spur von Aufschwung. »Ich muss, egal wie es hier läuft, jährlich 700.000
DM an die Bank zurückzahlen!«
Einer der wenigen Kumpels, die noch Arbeit haben, ist der 47 Jahre alte Grubenelektriker Walter Ertmer. Vollbart. Flinke,
aufmerksame Augen. »Wir verwahren die Grube! Das heißt, wir bauen unsere Arbeitsplätze ab, denn mit jedem verfüllten Hohlraum
bleibt weniger Arbeit übrig.« Ich müsste mir das so vorstellen: »Wir fördern das Kalisalz wie früher, verladen es wie früher,
aber bringen es nicht, was logisch und nützlich wäre, wie früher nach oben, damit es verarbeitet wird, sondern karren es in
die Hohlräume. Die Arbeit selbst ist sinnlos geworden. Das ist, als ob ein Bauer seinen Acker nicht mehr bestellen darf, aber
er Geld dafür bekommt, um die Erde von einer Stelle des Feldes zu einer anderen zu karren.« 2003, auch wenn sie es noch so
hinauszögern würden und immer neue Hohlräume finden könnten, 2003 würde dann alles dicht sein. »Da werde ich 50. 50 und arbeitslos!
Und arbeitslos in Bischofferode!«
Bis zu dieser Stunde null kann man ihm nicht kündigen, denn Walter Ertmer ist Betriebsratsvorsitzender. »Allerdings sitze
ich so selten wie möglich im Gewerkschaftsbüro,denn die Arbeit als Betriebsrat ist noch enttäuschender als die Arbeit unten. Nicht mehr für Arbeitsplätze kämpfen, sondern
den Abbau von Arbeitsplätzen begleiten!«
An der Merktafel in seinem Büro hängt die Kopie einer Pressemitteilung. »Peter-Beier-Preis für Hans Berger. Der mit 10.000
DM dotierte Peter-Beier-Preis der Evangelischen Kirche im Rheinland geht in diesem Jahr an den Vorsitzenden der Industriegewerkschaft
Bergbau und Energie (IGBE) Hans Berger … Vorbildliches Engagement Bergers in der Auseinandersetzung um die Steinkohle-Subventionen
… in hervorragender Weise verstanden, die konfliktträchtige Situation … zu entschärfen.« Er hätte, sagt der Betriebsratsvorsitzende,
diese Meldung natürlich nicht zu Ehren des Gewerkschaftsbosses angezweckt. »Wir hatten beim Hungerstreik recht, als wir auf
Plakaten schrieben: ›Berger, Bonze und Betrüger!‹« Es sei wohl einmalig, dass ausgerechnet die Gewerkschaft den Segen zur
Schließung der Gruben gibt. Und dafür kämpft. »Aber so verwundert waren wir nicht, denn wir hatten die Gewerkschaft in der
DDR doch auch nur als Willensvollstrecker der Macht erlebt.«
Nicht einmal mehr die Hälfte der rund 100 in Bischofferode noch arbeitenden Kumpels sind Mitglied der Gewerkschaft. »Aber
das interessiert den Berger und seine Leute im Westen nicht, denn gewählt werden die von ihren Steinkohlekumpeln an Rhein
und Ruhr und nicht von den paar Leuten, die hier um ihre Arbeitsplätze gekämpft haben. Und erst recht nicht von den Arbeitslosen.
Man sollte eine Gewerkschaft für Arbeitslose gründen, denn für die setzt sich keine Gewerkschaft mehr ein. Werdraußen ist, ist draußen. Nutzlos. Auch für die Gewerkschaften.«
Ich frage ihn nach arbeitslosen Kalikumpeln aus Bischofferode und wie sie jetzt mit ihren Problemen fertig werden. Er überlegt
eine Weile, dann sagt er: »Ich weiß nicht, wer von denen, die 1997 endgültig gehen mussten, wieder eine Arbeit gefunden hat.
Und wer noch keine hat. Man sieht sich nicht mehr.«
Auch Gerhard Jüttemann kann mir auf Anhieb keine Betroffenen nennen. Aber wenn ich am Aschermittwoch noch einmal nach Bischofferode
kommen würde, könnte er sich in der Zwischenzeit erkundigen und auch ein Gespräch mit dem Bürgermeister Senger organisieren.
Am Aschermittwoch ist die Halde zwar noch mit Schnee bedeckt, aber es taut, und sie sieht nun aus, als
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