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Urlaub fuer rote Engel

Urlaub fuer rote Engel

Titel: Urlaub fuer rote Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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der Mächtigen von Partei, Staat und Großbetrieben auf der Insel. Sie waren schneller als Treuhand und Kommission fürs Parteienvermögen,
     beschlagnahmten deren Häuser und verlosten sie zum Verkauf an bedürftige einheimische Familien. (Eine hat das Haus gleich
     weiterverkauft, war plötzlich gar nicht mehr so bedürftig wie zuvor und kam auch nicht auf die Idee, es der Gemeinde zur erneuten
     Verlosung zurückzugeben.)
    Das Pfarrhaus steht gegenüber vom Friedhof. Drinnen schreit ein Baby zum Gotterbarmen. Als mir der Pfarrer öffnet, füllt er
     die Tür aus. Er ist zwei Meter groß. »Unser Jüngstes kriegt die Haare gewaschen.« Er hat sechs Kinder. Nachdem seine erste
     Frau gestorben war, ging er vor 10 Jahren allein mit vier Kindern als Pfarrer von Potsdam nach Hiddensee. Er mäht das Gras
     hinter dem Pfarrhaus noch mit der Sense, hackt sein Feuerholz mit dem Beil. In der Kirche hat er das Bild eines mächtigen
     Baumes aufgehängt.
    Darunter steht: »Durch Rücksichtslosigkeit haben die Menschen Erfolg. Erlangen, was sie begehren. Aber danach verdorren sie
     an der Wurzel.«
    Im Regenmantel fährt er die 10 Kilometer zum sonnabendlichen Gottesdienst nach Neuendorf. Von den 1.300 Inselbewohnern sind
     900 Mitglieder seiner Pfarrgemeinde.Aber die versammeln sich nur winters in der Kirche, der Sommer gehört auf Hiddensee in jeder Beziehung den Touristen. Etwa
     50 sind gekommen. Und weil der Inselpfarrer von der Kanzel und wohl auch in der Kneipe mit nur einer Zunge redet, kann ich
     getrost Sätze aus seiner Predigt und aus privaten Gesprächen vereinen: »Das Leben auf der Insel ähnelt der Zeit zwischen Himmelfahrt
     und Pfingsten: Jesus ist schon von uns gegangen, aber der allmächtige Geist ist uns noch nicht erschienen … Auswärtige kommen
     hierher, wollen mit diesem Eiland spekulieren, die Insel finanziell ausnutzen. Wenn sie scheitern, kümmert sie das Schicksal
     von Hiddensee nicht mehr. Sie gehen einfach zurück, müssen hier nicht leben … Wenn ich an die Ärmsten der Welt Suppe verteile,
     so nennt man mich einen Heiligen. Aber wenn ich nach den gesellschaftlichen Ursachen dieser Armut frage, dann stellt man mich
     in die Ecke, schimpft mich einen Kommunisten … Ich möchte die Mächtigen, die den Lebensunterhalt der Wassertaxifahrer vernichten,
     an ihre christliche Moral erinnern. Ich weiß, dass juristisch nichts mehr zu retten ist, aber wir sollten uns mit den Flensburgern
     an einen runden Tisch setzen und fragen: Wie viel Tagesausflügler braucht die Reederei, um leben zu können? Wie viel davon
     vertragen die ruhesuchenden Dauergäste, die den Vermietern das Geld bringen? Wie viel brauchen die Gastwirte? Wie viel die
     Vögel und Pflanzen? Wir müssen auf der Insel miteinander leben und nicht wegen des Mammons gegeneinander.«
    Auf dem Rückweg von Neuendorf nach Vitte treffe ich in der Heide, sehr gerade auf seinem Fahrrad sitzend,Friedrich Schorlemmer, den zur Zeit bekanntesten ostdeutschen Schriftsteller-Pfarrer. Seit 1992 lädt der Bertelsmann Club
     Schriftsteller zu Arbeitsgesprächen nach Hiddensee ein. In diesem Jahr diskutieren sie auf der Insel das Thema »Intellektuelle
     und die Macht«. Schorlemmer hat schon seit Jahren immer eine Woche lang beim Inselpfarrer gewohnt. Er schätzt ihn sehr. »Aber
     wenn die kleinen Wassertaxis der Reederei ökonomisch ein Dorn im Auge sind, wird kein moralischer Protest mehr helfen! Der
     verlängert dann höchstens die Schmerzen des Todeskampfes.« Nachdenkliche Pause. »Den Utopisten und den Realisten in uns zu
     vereinen fällt uns immer noch schwer.«
    Der rotbärtige kurzhaarige Bürgermeister Norbert Athing aus Ostfriesland – er trinkt Unmengen Tee – will in seinem Amt Realist
     und Utopist sein. Er hat schon als Verwaltungsbeamter auf Helgoland Inselerfahrungen gesammelt. Und versucht sie seit 1990
     auf Hiddensee »ostspezifisch« anzuwenden. »Natürlich nicht automatisch, denn dann müsste ich unseren FKK-Strand nach bundesdeutscher
     Tradition fein säuberlich isolieren und könnte nicht, wie es hier vernünftigerweise immer noch üblich ist, Nackte und Textile
     einträchtig nebeneinander liegen lassen.« Nein, er meine nicht so sehr die Büroerfahrung als vielmehr seine Erfahrungen als
     Kind eines Wesermarsch-Bauern. »Ein Bauer weiß, dass er das schnelle Geld nicht auf Kosten des Bodens verdienen kann. Und
     als sich einige Hiddenseer 1990 den Supergewinn durch breitere Straßen, Hotelbau in der Heide und

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