Urlaub fuer rote Engel
sieben Stadträten bei einer Beratung. Freundlich, leise unterbricht
er, um mir Auskunft zu geben. Im letzten Herbst wären viele Busse mit Heimwehtouristen, den Deutschen, die früher hier Häuser
besaßen, in Pec gewesen. Nein, Vorkommnisse hätte es keine gegeben, aber die Angst, dass sie wiederkommen … »Wissen Sie, hier
waren die Menschen früher nicht aufgeteilt in Polen, Tschechen und Deutsche. Alle waren Gebirgler, Riesengebirgler! Das war
ihre Nationalität.« Das andere sei Sache der Politik gewesen, sowohl die Verbrechen der Nazideutschen als auch die Aussiedlung
der Deutschen.
Einer der Stadträte bringt mich hinaus und erzählt empört, dass die vom tschechischen Starkbier betrunkenen Heimwehtouristen
in der Gaststätte sehr laut das Deutschlandlied und danach auch das Riesengebirgslied angestimmt hätten. Ich kenne dieses
Lied aus dem schon erwähnten aktuellen deutschen Reiseführer: »O mein liebes Riesengebirge, wo die Elbe heimlich rinnt, wo
der Rübezahl mit seinen Zwergen heut noch Sagen und Märchen spinnt. Riesengebirge, deutsches Gebirge, meine liebe Heimat,
du!«
Und darunter die Gebrauchsanweisung: »Das Lied war jahrzehntelang verboten. Heute können Sie es getrost wieder anstimmen.«
Am nächsten Tag treffe ich mich mit Wolfgang Berger, dem letzten Petzer Deutschen aus der Vorkriegszeit.Der 61-Jährige arbeitet in der Bergrettungsstation, einem modernen Neubau aus Glas und Beton.
»1945 flüchteten hier zuerst die großen Hoteliers wie der Schubert, die waren ja alle aktive Nazis gewesen. Mein deutscher
Vater war damals gerade gefallen, und weil meine Mutter Tschechin war, wir drei Kühe und ein Haus hatten und vier Kinder waren,
blieben wir in Petzer. Alle anderen, bis auf ein paar erfahrene deutsche Holzfäller, jagte man weg. Zuerst mussten meine Geschwister
und ich ein Jahr mit weißer Binde und einem N für Němec herumlaufen. Wie Aussätzige. Nach zwei, drei Jahren, wir waren damals
ja alle gleich arm, legte sich der Hass wieder.«
Bevor ich gehe, lobe ich das schmucke Äußere der neuen Bergrettungsstation.
Berger protestiert. Nein, es sei schlampig gebaut. »Weil es billiger ist, hat man dafür Schwarzarbeiter aus der Ukraine geholt.
Die Tschechen gehen als Billigarbeiter nach Deutschland, und hierher kommen die noch billigeren Arbeiter aus der Ukraine.«
Ich frage ihn, ob er möchte, dass das Riesengebirge wieder deutsch wird.
»Nein. Aber wenn die Tschechen arm und die Deutschen reich bleiben, wird das Riesengebirge eines Tages wieder deutsch sein.
Dann haben es sich die Deutschen einfach zurückgekauft, ihr Riesengebirge.«
Am Nachmittag beobachte ich am Hang der Schneekoppe einen Skifahrer, der die Enden einer Plasteplane zu einem dickbäuchigen
Segel zusammengebunden hat. Rübezahls Sturmwind, der hier oben ständig bläst, pustet ihn nach jeder Abfahrt immer wieder den
flachenHang hinauf. Er heißt Milan Kučera und arbeitet als Ingenieur in den weltbekannten Škoda-Werken von Pilsen.
»Mit dieser Technik spare ich täglich fast 200 Kronen Liftgebühr.«
Und er lacht wie Schwejk.
Nach der Himmelfahrt auf Hiddensee
Am darauffolgenden Wochenende brüten die Säbelschnäbler, Sandregenpfeifer und Brandgänse wieder ungestört. Die drei ABM-Nationalparkwächter
von Hiddensee sammeln Hunderte Bierbüchsen und Schnapsflaschen zwischen Thymian, wildem Spargel und Grasnelken. Die Dauerurlauber
spazieren in der noch wintergrauen Heide, und die Tagestouristen, die auf der Fähre oder mit dem Wassertaxi von Rügen herübergekommen
sind, mieten sich die noch girlandengeschmückten Pferdekutschen. Mit zwei vorgespannten Kaltblütern Abfahrt in Richtung Kloster
zum Wohnhaus von Gerhart Hauptmann. »Das war der mit dem Gedicht von die armen Weber« erklärt der Kutscher und knallt die
Peitsche, als würden die Gäule wirklich darauf reagieren. Während der Fahrt wird er sein Verschen von »dat söte Länneken«
aufsagen, wie die Einheimischen ihr Hiddensee nennen, und dass es die einzige größere betretbare Ostseeinsel ist (überall
Wasser drum herum). Vier Dörfer: Grieben, Kloster, Vitte und Neuendorf. 1.300 Einwohner und über 4.000 Gästebetten. 18 Kilometer
lang und einen breit. 1990 zum Nationalpark erklärt, deshalb dürfe niemand abseits der öffentlichen Wege gehen. Vor der Wende
200.000 Touristen im Jahr, nun schon über eine halbe Million. Meistens Tagesausflügler. Schlecht für den Magerrasen, aber
gut für
Weitere Kostenlose Bücher