Urlaub fuer rote Engel
leben, lieben und streiten Marion und
Detlef Ewert.« Beide sind 40. Sie ist Lehrerin auf der Insel. Bangt um ihre Anstellung, denn ab Herbst müssen die Klassen
zusammengelegt, die verschiedenen Altersstufen gemeinsam unterrichtet werden. Zwergschulmodell. 1989 waren noch 28 Kinder
auf der Insel geboren worden. Inzwischen freut man sich über zwei. »Aber es muss an der neuen Gesellschaft liegen«, klagt
die Lehrerin, »denn unsere Männer sind ja nicht weniger potent als vor der Wende.« Sie haben drei Kinder. Nach dem jüngsten,
der Susann, hat Detlef sein Wassertaxi benannt. Er ist gelernter Vollmatrose. Zuerst bei der Handelsflotte. Danach das, wovor
in der DDR alle Seeleute Angst hatten: Einziehen desSeefahrtsbuches ohne Begründung. Ein halbes Jahr Binnenschiffer auf der Elbe. Dann Bagger- und Bugsierdienst Rostock. 1989
war auch dort Ebbe. Im Juli 1992 endlich sein eigener Herr. Für 120.000 DM Kredit kaufte er sich ein Wassertaxi. »Wir waren
hier fünf kleine private und zwei größere Wassertaxis der Reederei. Die 3.000 bis 8.000 Touristen am Tag reichten für alle,
auch für die großen Fähren. Doch die Flensburger wollen das Monopol. Und weil wir nur eine Gewerbeerlaubnis, aber keine Konzession
besaßen, waren wir die Ersten, die sie mit einstweiliger Verfügung versenkt haben. Ab Karfreitag Fahrverbot. Bei Zuwiderhandlung
eine halbe Million Strafe. Nur die Zinsen für den Kredit laufen weiter.«
Nun hoffen die drei Bootsleute auf eine politische Entscheidung im Landesministerium, auf eine Konzession für eine Insel-Reederei,
in der Kommune, Wassertaxiverein und Weiße Flotte gleichberechtigt vertreten sind. »Nur so können wir die Zahl der Tagestouristen
begrenzen und verhindern, dass die Insel an ihnen erstickt. Denn die Flotte hat doch nur ein Interesse: Je mehr Ausflügler
sie übersetzen kann, umso mehr verdient sie!«
20 Minuten brauche ich mit dem Fahrrad von Vitte nach Kloster. Vor Hauptmanns Haus drängeln viele Touristen. An seinem mit
Efeu überwachsenen Grabstein stehe ich allein. Den Efeu hatte Hauptmann 1932 bei einem Amerikabesuch geschenkt bekommen. Er
stammt aus dem Garten von George Washington, und der Präsident soll ihn eigenhändig gepflanzt haben.
Vom Hauptmann-Haus (jährlich 60.000 Besucher) pilgern die Touristen zum Aussichtspunkt, dem 70 Meter hoch stehenden Leuchtturm.
Über den zweiten »Aussichtspunkt«an der Steilküste, die Radarstation der DDR-Grenztruppen mit zwei Stacheldrahtzäunen drum herum, ist schon Gras gewachsen.
Die Station und die Zäune mochten die Hiddenseer in ihrer sonst zaunlosen Weite nicht. Im Herbst 1989 verlangten sie den Abriss.
Einige Gemeindevertreter wollten noch eine Jugendherberge daraus machen, aber Bernd Blase, 53, früher Biologielehrer und seit
1991 Chef des Nationalparks auf Hiddensee, organisierte 1992 ein Lübecker Pionierbataillon, das in einer Nacht-und-Nebel-Übungsaktion
die NVA-Grenzstation mitsamt den Zäunen beseitigte. Das war einer der Nachwendeerfolge auf Hiddensee. Außerdem wurde eine
biologische Kläranlage gebaut, das Abwasser läuft nicht mehr einfach in die Ostsee. Die Müllkippe der Insel ist inzwischen
geschlossen, der Müll wird auf das Festland gebracht. Durchgesetzt ist ein strenges Bauverbot außerhalb der Ortslagen. Und
die Autofreiheit der Insel. Die drei Nationalparkwächter kümmern sich um Wanderwege, Schilder, Naturschutz und agitieren die
Tausenden Tagestouristen, dass sie auf dem Pilgermarsch zu Hauptmann und dem dicken Leuchtturm nicht abseits der Wege gehen.
Doch die uniformierten Nationalparkwächter haben keine Flinten wie ihre US-Kollegen, und wenn sich ein Natursünder weigert,
den Ausweis zu zeigen, müssen sie erst Amtshilfe, das heißt einen der zwei Inselpolizisten, anfordern. Und Bernd Blase, ihr
Chef, der 1992 die endlos zaunlose Wanderweite von Hiddensee durch ein Pionierbataillon wiederherstellen ließ, musste inzwischen
neue Zäune bauen lassen! Damit die Grasnelken, das Tausendgüldenkraut und die Sandstrohblumen vor den Schuhen und Mountainbike-Reifender Touristen geschützt werden können. Zuerst hatte auch der Inselpfarrer Manfred Domrös gegen die neuen Zäune protestiert.
Er gehörte in der DDR zu den engagierten Kirchenoppositionellen, rief auf den Leipziger Montagsdemos »Wir sind das Volk« und
versammelte im Herbst 89 fast 400 Hiddenseer in seinem Kirchlein. Dort verfassten sie gemeinsam einen Brief gegen die Willkür
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