Urlaub fuer rote Engel
das Fuhrgeschäft. Viel Prominenz sei schon hier gewesen. Er könnte stundenlang Namen aufzählen. Tut es aber nicht,
also nenne ich ein paar: Das Doppelhaus neben der »Quelle«-Filiale gehörtedem Sohn von Sigmund Freud, der dort auch zu Besuch war.
Am Ortsausgang von Vitte steht das Haus von Stummfilmstar Asta Nielsen … Weitere Gäste auf der kleinen Insel: Antje Vollmer.
George Grosz. Max Reinhardt. Die deutsche Wehrmacht, deren Bunker auch nach der Sprengung noch zu sehen sind. Henny Porten.
Die Palucca, die wie Hauptmann und Walter Felsenstein auf Hiddensee beigesetzt ist. Ernst Toller. Manfred Stolpe. Das ZK der
SED, dessen Ferienhäuser die Hiddenseer Ende 1989 unter wohnungssuchenden Inselbewohnern verlost haben. Wilhelm von Humboldt.
Carl Zuckmayer. Volker Rühe (ohne Pressebegleitung, nur der alte Lehrer Ehmer berichtete in den Inselnachrichten) mit seinem
österreichischen Kollegen nebst Gattinnen. Puppenmutter Käthe Kruse, die die Lietzenburg in Kloster geerbt hatte. Björn Engholm.
Joachim Ringelnatz. Das MfS der DDR, das u. a. eine Holzvilla »kaufte«, in der sich unregelmäßig Günter Guillaume und regelmäßig
Markus Wolf vom Dienst erholt haben und in welcher heute der aus Ostfriesland importierte Bürgermeister Norbert Athing, 40,
wegen der fehlenden Wärmedämmung im Winter furchtbar friert. Anna Seghers. Thomas Mann. Günter Grass mit seiner Frau Ute.
(Ute Grass entstammt einer Hiddenseer Arztfamilie, die in den sechziger Jahren in den Westen gegangen war. Als sie – noch
zu DDR-Zeiten – zum ersten Mal mit ihrem Mann wieder auf die Insel kam, bestaunten die Einheimischen ihre Ute. »Gut siehste
aus« – »Groß biste geworden.« – »Schön, dass du uns besuchst.« Später zeigte einer auf Grass und fragte höflichkeitshalber:
»Und das ist wohl dein Mann, Ute?«)
Die Fischer im Hafen sind nicht geschwätzig. Nur über die Fischerei reden sie ungefragt. Bei Honecker hätten sie für das
Kilo Heringe 1,40 Mark bekommen, heutzutage nur noch 35 Pfennig. Kaum dass sie den Diesel für die Boote bezahlen könnten.
»Aber die Händler verdienen sich an unserem Hering dumm und dusslig, verkaufen ihn im Laden für 7 Mark.« Ich sage, dass ich
an den Imbissständen auf Hiddensee zwar Bockwürste oder Fritten, aber keinen frisch gebratenen oder geräucherten Hering essen
könne. »Eure Frauen würden dadurch aus den 35 Pfennig vielleicht 10 Mark machen!« Sie gucken mich böse an. Ihre Frauen brauchten
keine Fische zu braten, die hätten Feriengäste. »Die Regierung muss den Fischpreis erhöhen. Aber die stecken mit den Geldleuten
unter eine Decke. Den Fischgroßhändlern. Und den Reedereien, wie die Flensburger, die zu Hause fast bankrott war, hier die
Weiße Flotte aufgekauft und von der Landesregierung die Fährkonzession erhalten hat und nun mit den Hiddenseetouristen ein
gutes Geschäft macht. Und sich die Konkurrenz, unsere Hiddenseer Wassertaxis, mit Gerichtsbeschluss vom Halse schafft. Verdammtes
Kroppzeug.«
Sie trinken und schimpfen auf die Regierung. Ich leihe mir in Vitte bei Christian Kula ein Fahrrad aus. 10 DM am Tag. Gleicher
Preis bei allen Vermietern. Aber die Fahrradverleiher drängeln wie in Neuendorf immer näher zum Hafen. »Am liebsten würden
sie die Tagestouristen schon auf der Fähre abfangen.« Auf der idyllischen Insel mit Steilküste, langen Sandstränden, Dünen
und stillen Abenden – gewöhnliche Sterbliche erhielten vor der Wende nur durch staatliche Beziehungen oderreichliche Mangelwaren-Mitbringsel wie ungarische Salami und Keramikfliesen ein Feriendomizil auf Hiddensee – ist auch heute
noch das schnelle Geld zu verdienen. Nur wenige Schritte neben Kula bietet eine nichteinheimische Immobilienfirma im Schaukasten
»Gastronomische Betriebe und Baugrundstücke in Vitte, 12.000 qm Grünland in der Heide, Ferienappartements, Appartementwohnungen
und Ferienhäuschen in der Heide« an. Baugrundstücke in Vitte kosten 400 bis 1.000 DM je Quadratmeter. 40 Pedalumdrehungen
weiter bietet ein 12-jähriger Junge in einem Schuhkarton Hunderte von Bernsteinen an. Die hat er im Winter wochenlang am eisigen
Strand gesammelt. Ich kaufe fünf für insgesamt 5 Mark, und er zeigt mir, wo Detlef Ewert wohnt.
Detlef Ewert ist einer von den drei Wassertaxifahrern, die ihr Unternehmen wegen der gerichtlichen Intervention seitens der
übermächtigen Flensburger Reederei aufgeben mussten. An seiner Haustür steht: »Hier
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