Urlaub fuer rote Engel
geschlagen. Er war und ist ein Säufer, deshalb hat man ihn auch bei der Eisenbahn entlassen.Hat gesoffen und immer nur gesoffen … Ich habe nie getrunken. Nie getrunken und nie geraucht. Aber ich hatte Pech mit meinen
Männern. Der erste, ein Stahlarbeiter, fing nach einem Reservistenlehrgang in Leipzig, bei dem er miterlebte, wie sein Freund
beim Waffenreinigen durch einen Schuss umkam, zu saufen an. Ich habe mich scheiden lassen, lebte lange mit den zwei Töchtern
allein. Wir waren nicht reich, aber wir konnten Urlaub machen, einmal sogar zu dritt in Ungarn. Zuerst arbeitete ich in der
Bastfaserfabrik in Freiberg, dort beendete ich auch meine Lehre. Von klein auf war ich oft krank, eine Nierengeschichte, die
immer schlimmer wurde. Ich schulte also um, ging zur Eisenbahn, dort war ich Zugabfertigerin. Habe Telegraphen bedient, konnte
Schreibmaschine schreiben, stellte die Güterwagen zusammen und rief dann eben in Freital an, dass sie den Wagen Nummer soundso
rausnehmen müssen, die anderen weiter nach Dresden. Und die machten das, was ich sagte. Es war eine schöne Zeit. Natürlich
hatten wir keine Bananen, aber Arbeit, auch wenn man krank war. Ohne Angst lebte man, denn eine Arbeit fand sich immer.
Als meine Eltern hier zur Kur waren, lernten sie meinen späteren Mann kennen. Ich zog zu ihm und arbeitete in Salzungen auf
dem Bahnhof. Aber dann hatte ich plötzlich Platzangst zwischen den Gleisen und Zügen. Schwindelanfälle. In Freiberg hatte
ich miterlebt, wie ein Bekannter zwischen den Puffern … Die Bahnärztin sagte, dass ich nicht mehr als Zugabfertigerin arbeiten
dürfe. Da machte ich Reinigungskraft, Bastfasern gab es ja hier keine. Das war 1986. Zuerst im Gesundheitswesen, dann bei
einer Zeitung. Und nach der Wendewurde die Planstelle Reinigungskraft bei der Zeitung abgeschafft, die ließ die Arbeit von einer privaten Reinigungsfirma machen.
Und dort ging es nicht mehr mit dem Jungen, der oft krank war. Sonntags habe ich dann die »Bild« ausgetragen. Als ich es im
sechsten Monat mit dem Treppauf und Treppab nicht mehr schaffte, habe ich mich auf die Straße gesetzt, der Junge spielte im
Dreck daneben, und ich habe die Zeitung verkauft. Deshalb kennen mich viele im Neubaugebiet. Manchmal habe ich fünf Katzen
in der Wohnung, die bringen die Leute zur Aufbewahrung und geben mir paar Mark dafür … Bis zum 13. Juli dieses Jahres bekam
ich wöchentlich 138,80 DM Arbeitslosengeld. Danach war das Jahr vorbei, und ich beantragte Arbeitslosenhilfe, aber weil ich
bis zum 15. Juli krankgeschrieben war, wurde der Antrag ungültig. Seitdem leben wir nur vom Kindergeld. Die Ärzte sagen, dass
der Große körperlich völlig gesund ist, aber er hat oft miterlebt, wie der Vater mich schlug, er kann noch nicht richtig sprechen,
seit zwei Jahren geht er in die Sonderschule nach Bad Liebenstein. Ich fahre ihn hin und hole ihn wieder, weil der Busfahrer
sich beschwert hat, dass der Junge zu laut im Bus herumtobe. Für 500 DM in Raten habe ich hier im Autohaus einen Trabi bekommen.
Das war im vorigen Jahr. Aber niemand sagte mir, dass er so durchgerostet ist, dass er in diesem Jahr den TÜV nicht kriegt.
Den Kleinen nehme ich mit, wenn wir den Großen wegbringen, ich kann ihn nicht in den Kindergarten schaffen. Das Betreuungsgeld
würde ich wiederbekommen, aber nicht das Essengeld. 127 Mark im Monat. Er braucht noch Windeln, die billigsten kosten 25 Mark
für68 Stück. Ich selbst brauche wenig zu essen, wiege nur noch 45 Kilo, aber die Kinder. Vor kurzem hatte seine Klasse Wandertag,
Fahrt in die Märchenhöhle nach Walldorf. Das kostete 30 Mark. Ich hatte das Geld nicht, und weil ich mich schämte, ging ich
an diesem Tag mit ihm zum Arzt, damit ich eine Ausrede hatte, weil ich mich eben schämte. Ich schäme mich oft, auch dafür,
wie liederlich es hier in der Wohnung aussieht. Ich hätte ja viel Zeit zum saubermachen. Aber ich will nicht, weshalb denn
Saubermachen? Ich sitze da und grüble, und abends nehme ich Tabletten, damit ich schlafe. Es ist alles ohne Sinn, weshalb
soll ich da die Fenster blankputzen? Manchmal gehe ich vormittags für die alten Leute einkaufen. Nein, für die in unserem
Eingang nicht, manche von denen drehen sich weg, wenn sie mich sehen. Zu DDR-Zeiten haben wir freundlich zusammengesessen,
gefeiert. Jetzt treffen sich auch die anderen nicht mehr. Gleichgültigkeit und Hass aufeinander sind entstanden.
Abfälle und Dreck haben sie
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