Urlaub fuer rote Engel
mir in den Briefkasten geschmissen. Hundekot und sogar gebrauchte Gummifuffziger. Schließlich
kamen die vom Jugendamt, weil sie anonyme Briefe erhielten, dass ich meine Kinder misshandele. Ich musste sie ausziehen, und
der Arzt bescheinigte, dass keine blauen Flecke oder so was zu sehen waren. Ein Polizist riet mir, wegen der anonymen Briefe
einen Privatdetektiv, den er gut kennen würde, zu beauftragen. Dieser Privatdetektiv, der Herr K., war früher Mitarbeiter
in der SED-Kreisleitung Suhl, und der hat herausgefunden, dass die … naja, dass jemand aus der Verwandtschaft die Briefe geschrieben
hat. Danachschickte dieser neue Privatdetektiv eine Rechnung über 2.500 DM. Ich könne es in Raten bezahlen … In unserem Haus gibt es
viele Arbeitslose, aber man redet nicht miteinander. Unten wohnt eine alleinstehende Frau mit Kind, die hat es auch schwer,
aber die ist eben eine arbeitslose medizinisch-technische Assistentin, und ich bin nur eine arbeitslose Reinemachefrau. Der
Gerichtsvollzieher war schon hier.
Mein Mann bezahlt die Miete nicht, unten in der Stadt, in seiner Bude. Außerdem hat er genau wie die Tochter – die lernte
im Salzunger Olympiaeinkaufszentrum Verkäuferin, aber das machte pleite, und sie wurde gekündigt –, also, die haben aus den
Katalogen bestellt und bestellt. Der Mann ist nicht nur ein Trinker, er ist auch ein Sammler, Waffen und Briefmarken, teures
Zeug. Alles nicht bezahlt, und bei ihm ist nichts zu pfänden. Dem Gastwirt aus dem »Rhönblick« habe ich das letzte Kleingeld
gegeben und gefragt, ob er auch Briefmarken nimmt. Er nahm Briefmarken und versprach, dem Mann nichts mehr auf Pump zu geben.
Rund 20.000 DM Schulden insgesamt. Und alle wollen es von mir. Aber ich habe nichts bestellt. Wenn ich wenigstens ein Angebot
auf meine Bewerbungen erhalten hätte. Ich würde alles machen. Außer dem einen, das nicht! Aber als Hilfsarbeiterin in einem
Laden oder einem Lager, oder Reinemachefrau. Nur wieder arbeiten, wenigstens eine Hoffnung haben. Im Arbeitsamt sind sie freundlich.
Doch sie sagen, dass ich schwer oder überhaupt nicht zu vermitteln sei. Auch wegen der Kinder …
Ich habe mit dem Kleinen auf dem Arm schon auf dem Balkon gestanden, außen, auf dem schmalen Sims.Aber dann bin ich doch nicht gesprungen, lag bloß halb ohnmächtig auf dem Fußboden und heulte.
In der Schuldnerberatung haben sie mir jetzt gesagt, dass es noch eine Chance für mich gäbe. Zusammen mit meiner Schwester
hatte ich nämlich als 15-Jährige versucht, bei Hof über die Grenze in den Westen abzuhauen. Wir wurden damals beide zu je
vier Jahren Jugendhaft verurteilt. Fast zwei Jahre haben wir davon abgesessen. Und wenn ich jetzt eine Entschädigung beantragen
würde – ich habe das Urteil aufgehoben –, könnte ich davon vielleicht die Schulden bezahlen. Das haben sie mir dort gesagt,
auf dem Amt.«
Als ich beim Arbeitsamt anrufe, um zu erfragen, ob die Fakten stimmen, bestätigt man mir, dass Ria S. wegen ihrer Ausbildung
und der Kinder sehr schwer zu vermitteln wäre. Aber die beantragte Arbeitslosenhilfe sei inzwischen genehmigt.
Ich will Frau Ria S. anrufen, ihr die Neuigkeit sagen, doch ihr Telefonanschluss ist abgeklemmt.
Urlaub für rote Engel
Die Leute, mit denen ich sprach, stöhnten fast alle wegen der Hitze in den vieläugigen Betonbauten älterer und neuerer Art
an der Peripherie von Suhl. Über 30 Grad Außentemperaturen. Und Beton heizt sich auf.
In diesen Neubaugebieten erhielt die PDS bei den letzten Kommunalwahlen die meisten Stimmen, auf dem Friedberg über 50 Prozent.
Insgesamt machten 29,6 Prozent der Suhler die PDS zur stärksten der Parteien. Durch Volkes Wille erhielt sie 14 Stadträte
im Parlament, die CDU 13, die SPD 10, das Neue Forum 3 und die Freie Wählergemeinschaft 2. Doch die war so frei, sich sofort
der CDU-Fraktion anzuschließen und deren »führende Rolle« wiederherzustellen.
Nach der konstituierenden Sitzung erschien in den hiesigen Zeitungen das Foto von der Vereidigung des alten und neuen CDU-OB
Martin Kummer. Eine füllige Frau mit kurzen Haaren, Brille und in einem dunklen weißgeblümten Kleid lässt den OB die Eidesformel
sprechen: die 66-jährige Rentnerin Barbara Brenner (PDS).
Ich kenne sie als Mitarbeiterin vom Rat des Bezirkes. Sie war unter anderem für die Schriftsteller verantwortlich. Sie nahm
regelmäßig an den Sitzungen unseres Verbandes teil, und ich erinnere mich, dass sie
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