Urlaub fuer rote Engel
Metall, die Doris Keller, könnte sie holen.
Ich studiere inzwischen die Schaukästen am Tor. »Im Dorf, da die Schmiede wohnen«, wie es 1330 schon in einem Steinbacher
Kaufbrief hieß, bietet man nun »Qualität zu knallhart kalkulierten Preisen. Sonderverkauf. Haushaltsmesserset für insgesamt
3,33 DM«. Wahrscheinlich sind das nicht einmal die Materialkosten, denke ich. Nebenan steht eine schon lange geschlossene
Gaststätte.Ihr Name ist noch mühelos zu entziffern: »Zum letzten Heller«.
Die Pförtnerin findet die Kollegin Keller nicht, ich schaue mich im Betrieb um. Liebevoll hat jemand eine Wandzeitung gestaltet.
Überschrift: »Phantasie gefragt«. Ausgeschnittene Bilder von schönen Frauen in noch schöneren Pullovern: »An Ideen und Phantasie
mangelt es in der Maschenmode nicht …« Es ist gespenstisch still, keine Maschine rattert, kein einziger Mensch auf den Gängen
oder in den Hallen … Morgen würde der neue Geschäftsführer kurz vorbeischauen. Er sei bei der Treuhand beschäftigt, sagt die
Pförtnerin, und nun für die Abwicklung der Messerfabrik verantwortlich, nachdem der ehemalige Chef, »dieser Herr F.«, vorgestern
abgesetzt wurde. »Von Montag bis Mittwoch hatten die Kollegen den Betrieb besetzt – so lange, bis der Alte zurücktrat.«
Bevor ich gehe, frage ich sie nach Arbeitslosen, mit denen ich über ihre Situation reden könnte.
Da brauche sie keine Namen zu nennen, ich müsste nur an irgendeine Tür klopfen. Aber ich solle vorsichtig sein, die Leute
wären aggressiv.
Wahrscheinlich hat mich dann der Brunnen angelockt. Sein Wasser plätschert aus Stein und fällt auf Stein. Inschrift: »Zum
Glöck hun mei noch onsen Zilleboin«. Über dem Zilleborn, »An der Burg«, sind die Häuschen so übereinandergebaut, als hätten
Kinder einen Turm aus Bausteinen gestapelt, der jeden Moment zusammenfallen könnte. Vor einer der Haustüren auf einer tischgroßen
»Veranda« sitzt ein Mann mit gelichtetem Haar unter einem Sonnenschirm. Ich grüße, frage nach der Messerbude, dann nach seinem
Alter.
53 sei er, sagt der Mann, stellt sich dann vor. Heinz Duhlich. Und wir kommen ins Reden. »Wie gesagt, 53, davon fast 40 Jahre
in der Messerfabrik. In diesem Mai sagte der Abteilungsleiter: ›Geht nach Hause, Leute, wir haben keinen Absatz mehr für unsere
Messer, beruhigt euch, es ist nur vorübergehend.‹ Aber nun ist aus dem Vorübergehend ein Endgültig für mich geworden. Nicht,
dass unsere Messer schlechter waren, aber der Markt war plötzlich von der Konkurrenz aus Solingen besetzt. Und wenn der Markt
erst mal weg ist, wir waren ja unvorbereitet und der alte Betriebsleiter hat noch mitgemacht, sich mit der Vertriebsfirma
Zimax GmbH Bochum verbunden, so lange, bis die sogar Solinger Messer in unserer Betriebsverkaufsstelle vertrieben haben. Und
dann hat er auf eine Firma gewartet, die uns, das heißt vor allem ihn, übernimmt, damit er weiter das Sagen hat, denn die
alten Reichen wollen reich bleiben … Mit 53, da gehen Sie mal auf Arbeitssuche. Wo denn – drum herum stirbt alles, die ganze
Ecke hier, Tausende Kalikumpel, die Immelborner Hartmetallwerker, die Liebensteiner Wälzkörperleute … Ich habe nicht mal ein
Auto, um am Rhein oder in der Pfalz wegen Arbeit umherzukutschen. Die Frau ist krank, grauer Star, und ich kriege man gerade
800 Märker, das Häuschen ist über 100 Jahre alt, es müsste dringend repariert werden … Wir hatten Angst, jeder im Betrieb
hatte Angst, dass es ihn erwischt, und plötzlich war einer des anderen Teufel … Ich bin ein Leben lang um 5 Uhr aufgestanden,
pünktlich um 6 Uhr war ich in der Messerbude. Auch heute noch bin ich um 5 munter, dann gehe ich zum Friedhof, gieße die Gräber.
Komme zurück und frühstücke mit meiner Frau, und dann laufe ich umherund horche und horche, als ob einer kommen könnte, der sagt: Duhlich, sie brauchen dich wieder …«
Die Briefträgerin müht sich den Berg herauf, flucht, dass sie bald alles unten auskippen würde, die verdammte Schlepperei.
Briefe? Nein, man schreibe weniger, seit das Porto so teuer wäre, aber dieses Zeug: »Millionengewinn durch …« – »Fahrt ins
wunderschöne Frankenland mit Verkaufsausstellung …« – »Kommen Sie billig nach Spanien …«
Duhlich schmeißt alles achtlos auf den Stuhl. Seine Frau Gisela, sie hat sich inzwischen auf die Schwelle gesetzt, will erst
nicht mit der Sprache heraus, dann sagt sie leise: »Wir müssen
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