Urlaub fuer rote Engel
mit jedem Pfennig rechnen. Seit er raus ist aus dem Betrieb,
hatten wir an keinem Sonntag Rouladen … Ich mache oft Fischstäbchen, die sind billig … Aber verwöhnt waren wir nie. Unsere
Eltern sind aus Schlesien gekommen. Ausgebombt. Die hatten nichts mehr.«
Er widerspricht: »Doch, eines hatten sie – sie hatten genug Arbeit!«
Ich zeige hinunter zum Brunnen. »Zum Glück haben wir noch unsern Zilleborn.«
Der 53-Jährige lächelt. »Wenn die Wasseruhren im Haus drin sind, werden wir dort unser Wasser holen.«
Als ich aus dem Schatten des Sonnenschirms aufstehe, sagt die Frau, so als müsse sie sich entschuldigen: »Den haben wir jetzt
erst gekauft, wegen der Hitze. Er war ein Billigangebot, 25 Mark.«
Ich trinke vom Zilleborn. Das Wasser ist kalt und kristallklar.
Schon am Vormittag spazieren in Steinbach Männermit auf Hochglanz polierten Schuhen durch den Ort. Sie tragen Einkaufsbeutel … Einen Mann in Arbeitshosen und ohne Einkaufsbeutel,
er ist wohl schon im Rentenalter, frage ich, ob er in die Kneipe geht. Nein, aber wenn ich mich für Steinbach interessiere,
solle ich mitkommen. Er führt mich in eine kleine Metallwerkstatt. Schleif- und Poliermaschinen, Rohlinge für Messerklingen,
Schraubstöcke … Und an einem steht ein Mann und schabt den Holzgriff eines Messers. Silbereinlage, gekrümmte Klinge. Brotzeitmesser.
Ein Auftrag aus Bayern. Preis eines Messers von 500 bis 1.000 DM. Der Mann am Schraubstock, Dieter Eckardt, hat sich, als
die Messerfabrik die Leute entließ, den schon 66-jährigen Werner Weißenborn geholt und macht mit ihm nun Brotzeitmesser und
Jagdmesser (»die Griffe den Händen der Kunden angepasst«).
»Weshalb macht das ein Rentner, viele junge Messermacher sind arbeitslos?«
»Weil ich für diese Messerschmiedekunst die Erfahrung der Alten brauche – sie entlassen die Alten und machen unsere Tradition
kaputt.« Er hofft, dass der Zwei-Mann-Betrieb überlebt. »Für größere ist die Konkurrenz zu übermächtig … Eine Chance hätten
wir nur noch, wenn die Chinesen und Japaner endlich die Stäbchen weglegen.« Aber er will kämpfen. »Noch vor 100 Jahren haben
die Steinbacher Frauen aus den Schienbeinknochen zuerst eine Suppe gekocht und sie dann zu Messerschalen geschnitzt. Zäh waren
sie schon immer, die Steimischer (Steinbacher) …«
Und so wie die Pastorin mir nun erzählt, waren sie nicht nur zäh, sondern auch rebellisch. Jahrhundertelanghatten sie gegen alle Herren, um ihre Freiheit, die Stabsgerechtigkeit, den Schultheiß selber wählen zu können, gekämpft.
Und als der Pfarrer sie dabei zur Mäßigung aufrief, verließen sie den Gottesdienst. Ihr Landesvater, der Herzog von Sachsen-Meiningen,
soll bei einer Wanderung den Ausruf: »Oh, welch liebliches Dorf in welch lieblichem Tal«, folgendermaßen kommentiert haben:
»Und wissen Sie, wer in diesem lieblichen Tal wohnt: Messerstecher, Wilddiebe und … Sozialdemokraten.«
Steinbach eine stolze Arbeiterhochburg. »Die Leute hier kennen nichts anderes als Arbeit, meist schwere Handarbeit. Ihnen
fällt nun die Decke auf den Kopf«, sagt die Pastorin. »Mein Mann, als er arbeitslos zu Hause war, geknurrt hat er … und alle
Zimmer gemalert. Man darf sein Selbstbewusstsein nicht verlieren. Kurz nach der Wende sagte mir ein alter einheimischer Unternehmer:
›Jetzt werden die Steimischer Arbeiter endlich wieder Untergebenheit lernen müssen!‹«
Vom Pfarrhaus fahre ich hinunter zur neuen großen Halle der Messerfabrik. Dort sollen die letzten 10 von 500 arbeiten.
Es ist wirklich so. Sie stehen um einen Tisch und begutachten die von ihnen polierten Messerkropfklingen. Das hätten sie hier
noch nie mit solchen Maschinen probiert, aber es wäre ihre letzte Chance. Sie würden auch billiger polieren als drüben, weniger
Lohnkosten … Sie würden sogar Messer anmalen, wenn man es wünsche … Ich solle um Gottes willen kein Wort schreiben, das den
neuen Unternehmer verärgern könne …
»Wir sind ihm dankbar, wenn das mit den Messerkropfklingen misslingt, ist alles aus.«
Der Leiter der 10, zumindestens halte ich ihn dafür, weil er Ingenieur ist und blau bekittelt, zeigt mir die verwaiste neue
Halle. 120 mal 24 Meter. In den Regalen liegen noch rund eine halbe Million vorgefertigte Messerklingen. Früher eine Monatsproduktion
von 2 bis 3 Millionen Mark, heute ist man über 30.000 DM froh.
»Manchmal geht mir das Lied ›Zehn kleine Negerlein …‹ nicht aus dem
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