Urlaub fuer rote Engel
knipst ihn. Ich frage, ob ich beide zusammen auf dem Steinhaufen … Die Frau lacht. »Nein,
Bauherr war immer mein Mann.«
Das Einfamilienhaus haben sie schon 1983 erworben. »Nicht einmal die Erben, es waren meine Arbeitskollegen, wollten die runtergekommene
wertlose Bude. Ich habe damals alles mit meinen eigenen Händen wieder instand gesetzt, sogar das Dach ohne Gerüst gedeckt.«
Der 59-jährige Siegfried Schlettig ist heute EDV-Chef einer Dresdner Wohnungsbaugesellschaft. Sie ist Grundschullehrerin.
»Aber wir können uns immer noch keinen Handwerker leisten, der die Pflastersteine legt.« Die Millionäre in Radebeul? Sie kennen
keinen, der eine Million auf dem Konto hat. »Vielleicht sind einige der Villen so viel wert, aber weiter oben.«
Ich laufe also die Karl-Liebknecht-Straße hinauf, überquere den Rosa-Luxemburg-Platz bis zu einer REWE-Kaufhalle, die wie
ein ehemaliger Konsum aussieht.Aber der junge Verkäufer an der Fleisch- und Käsetheke – »Es bediente Sie Herr Röder (jun.)« – ist sehr freundlich. Gestyltes
Haar, Ohrring. Ich nehme einen italienischen »Taleggio« und erzähle dem Käseverkäufer von meinem schwierigen Unternehmen,
Millionäre zu finden. Er fragt, wie lange ich Zeit habe. Drei Tage, sage ich. Nun, er könne sich vorstellen, dass der westdeutsche
Chef vom ehemaligen Planeta-Druckmaschinen-Werk, der Herr Bolza-Schünemann, so einer sei. »Zwar kauft kein Millionär hier
ein, aber ich kann mich umhören. Mal sehen, wer in drei Tagen mehr gefunden hat. Sie oder ich.«
Am nächsten Morgen fahre ich mit der Straßenbahn in das Planeta-Werk. Die Chance, dort mit Albrecht Bolza-Schünemann zu sprechen,
ist günstig, denn er wird als Vorstandsvorsitzender der Koenig & Bauer AG auf einer Pressekonferenz die neuesten Maschinen
vorstellen, hat seine Sekretärin gesagt. Um 11 Uhr soll die Konferenz beginnen. Ich will nicht zu spät kommen, denn ich kann
mir vorstellen, dass die Fragen der fünf oder sechs Kommunaljournalisten bald abgearbeitet sind.
Doch schon in der Straßenbahn passiert mir das erste Malheur. Der Fahrkartenautomat nimmt nur passendes Geld und keine, wie
man mir versichert hatte, Scheine. Ich suche zwei Stationen lang in allen Taschen nach Münzen. Die Leute schauen mich prüfend
an. Es ist sehr peinlich. Ich frage, ob einer wechseln kann. Keiner kann. Aber alle beobachten, was ich mache. Aussteigen?
Schwarzfahren? Mir läuft der Schweiß herunter, als ich nach 9 Minuten Ewigkeit endlich aussteige. Eine alte Frau sagt laut:
»Na, wieder 1,60 gespart?«
Die Pressekonferenz findet nicht intim im kleinen Kreis in einem kleinen Zimmer statt, sondern in einer großen Druckereihalle.
Vor einer wohl mehr als 20 Meter langen Druckmaschine, die einer Lok mit vier angehängten Wagen ähnelt, ist eine große Tribüne
aufgebaut. Und auf der Tribüne sitzen über 100 Journalisten! Ohrstecker für Simultanübersetzungen werden verteilt. Vorn auf
dem Podium »mein« Gesprächspartner. Er begrüßt »die Weltpresse, die Fachjournalisten für Druckmaschinen aus Europa und Amerika«.
Danach die computergestützte Präsentation der größten, schnellsten, effektivsten und großformatigsten Plakatdruckmaschine,
die je in der Welt hergestellt worden ist. Eine Maschine der neuen Generation – »von den hervorragenden Fachleuten hier in
Radebeul entwickelt und gebaut«. Radebeul ist auch der einzige Standort der traditionsreichen Würzburger Firma, in dem der
Umsatz in den letzten Jahren trotz Rezession nicht gesunken, sondern gestiegen ist. Das wird gut sein für das Radebeuler Stadtsäckel,
denke ich.
Obwohl ich so gut wie nichts verstehe, höre ich drei Stunden lang brav zu und werde, weil ich noch ins Rathaus muss, nicht
einmal mit dem obligatorischen Betriebsrundgang und feinen Essen, geschweige denn mit einem Millionärsinterview belohnt. Aber
auf dem Rückweg nimmt mich wenigstens ein Planeta-Arbeiter in seinem roten Clio in die Stadt mit. Er arbeitet seit 33 Jahren
im Betrieb. 5.000 wären sie vor der Wende gewesen, danach hätten die Würzburger sie auf 1.200 »entkeimt«. Nun aber haben sie
es unter dem »tüchtigen Herrn Bolza-Schünemann schon wieder auf 2.000 Beschäftigtegebracht. Wir sind wieder Weltspitze.« Ich frage, ob der Herr Bolza-Schünemann wirklich einer von den 250 Millionären ist.
Das interessiere ihn einen Scheißdreck, sagt er. »Wenn der dafür sorgt, dass ich Arbeit habe und die Wohnung bezahlen
Weitere Kostenlose Bücher