Urlaub mit Papa
alles schief.«
Ich streckte meinen Rücken durch und ging schneller. Im Frühstücksraum blieb ich stehen und wartete auf meinen Vater. Er begutachtete das Büfett, ich fürchtete den nächsten Kommentar, er sah sich aber nur alles an und lächelte.
»Guck mal, was es alles gibt. Fünf Sorten Wurst und Obst und sogar Lachs. Da kann sich jeder genau das nehmen, was er gerne möchte. Schön.«
Marleen kam mit einer Kaffeekanne dazu, als ich gerade gähnte, ohne meine Hand vor den Mund zu halten.
»Sag mal! Wieso hast du denn nicht länger geschlafen? Wir hatten doch 8Uhr ausgemacht. Und wo ist Dorothea?«
»Die darf schlafen.« Ich rieb mir die Augen, ich hatte vergessen, mich zu schminken, es war egal. Marleen musterte erst mich und dann Heinz, der gerade die Deckel der Marmeladengläser abschraubte.
»Dann trink erst mal Kaffee und werde richtig wach. Vor 8Uhr kommt keiner der anderen Gäste.«
»Mein Vater trinkt koffeinfreien Kaffee, sonst wird ihm schlecht.«
»Bekommt er. Was hast du eigentlich am Bein?«
Ich hatte kurze Hosen an, schließlich war Sommer, und betrachtete meine Wade.
»Kugelschreiber. Geht aber mit Bimsstein ab. Sagt Heinz.«
Er tat so, als hätte er nichts mitbekommen, und setzte sich mit seinem voll beladenen Teller an unseren Tisch. Da saß er, sah sein Frühstück, dann uns an und strahlte.
»Das sieht sehr gut aus, Marleen. Nimm dir auch was, Christine, du weißt ja, morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettelmann. Jetzt ist morgens.«
Marleen guckte verwirrt. Ich nahm ihr die Kaffeekanne ab.
»So soll man essen. Dann wird man nicht dick. Ist das der normale Kaffee?«
Sie nickte. »Den anderen koche ich jetzt«, und verschwand in die Küche.
Die nächste halbe Stunde verlief friedlich. Ich kenne wenig Menschen, die mit einer solchen Hingabe und gleichzeitiger Systematik essen können wie mein Vater. Auf einem Teller hatte er das, was er essen wollte, akkurat angerichtet. Es durfte sich nichts berühren, zwischen dem Aufschnitt, dem Brot und der Marmelade musste ausreichender Abstand sein.
Mein Vater begann mit einer Scheibe Schwarzbrot, die er mit Butter bestrich, nicht einfach nur so, sondern mit exakten Streichbewegungen. Die Butter musste überall dieselbe Dicke haben, vom Brot durfte man nichts mehr sehen. Der Rand blieb sauber. Dann stellte er den Eierbecher genau vor die Mitte des Tellers und klopfte mit dem Eierlöffel die Schale locker. Die wurde im oberen Drittel vorsichtig abgelöst, die Kante musste dabei rundum denselben Abstand haben. Das Ei wurde kurz aus dem Eierbecher gehoben, die abgelöste Eierschale darin versenkt, das Ei wieder eingesetzt. Danach wurde gesalzt, dann gelöffelt. Als Zweites gab es ein Brötchen, keine Körner, kein Vollkorn, kein Mohn. Nur einfache Brötchen. Das Unterteil aß er mit Schinken, von dem er vorher etwa zehn Minuten lang jedes Fitzelchen Fett entfernt und es anschließend in die leere Eierschale gedrückt hatte. Auf die obere Brötchenhälfte verteilte er Marmelade, immer Erdbeere. Während ich ein trockenes Rosinenbrötchen kaute, sah ich ihm fasziniert zu. Er war völlig konzentriert, sah nicht hoch, sprach nicht, nahm nichts anderes wahr als die Verarbeitung seiner Frühstücksutensilien. Irgendwie fühlte ich mich beruhigt. Das hier kannte ich. Mein Leben lang. Und nichts hatte sich verändert.
Nach dieser friedlichen halben Stunde wischte er sich mit der Serviette das Eigelb vom Mund, lediglich ein kleiner Krümel verharrte im Mundwinkel, schob seinen Teller zur Seite und lächelte mich zufrieden an.
»Gutes Frühstück haben die hier, nicht wahr?«
Ich tippte auf meinen Mundwinkel, doch bevor ich etwas über Eireste sagen konnte, hörte ich Lärm auf dem Flur und sah meinen Vater aufstehen.
»Guten Morgen, die Damen, ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Nacht.«
»Ah, der Retter der Meere, oder eigentlich der Fähre, na, egal. Guten Morgen!«
Frau Weidemann-Zapek hatte den Daunenmantel auf ihrem Zimmer gelassen und trug einen wollweißen Hosenanzug, Winterqualität, dazu hatte sie sich ungefähr zwanzig weiße Haarspängchen in die kunstvoll hochgesteckten Locken gerammt.
»Einen wunderschönen guten Morgen, was für ein schöner Tag und er beginnt so nett. Sind bei Ihnen denn noch zwei Plätzchen frei?«
Sie hatte bereits die Lehne des Stuhls, der neben meinem Vater stand, umklammert. Frau Klüppersberg, in fünf verschiedene Grüntöne eingestrickt, blieb vor dem Tischende stehen und
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