Urmels großer Flug
einige Stäbe ab, zwei blieben in
seiner Haut hängen, sie schwankten bei jeder Bewegung. Immer kräftiger rann das
Blut über seinen Rücken.
Ein
neuer Trompetenstoß. Und nun stand der Torero dem Stier allein gegenüber. In
der linken Hand hatte er ein rotes, über einen Stock gewickeltes Tuch, das er
dem Stier aufreizend hinhielt. In der rechten trug er den Degen. Der Stier
stürmte in das rote Tuch, der Torero vollführte tänzerische, korkenzieherartige
Bewegungen, um seinen Hörnern auszuweichen. Er ließ ihn sehr dicht an sich
vorbeikommen, unter dem roten Tuch durchstreifen, er kniete sich sogar hin und
bot ihm den Rücken dar.
»Mut
hat er ja«, knurrte das Urmel, »wir sollten nicht weniger mutig sein.«
Gerade
da löste sich der Torero vom Stier, ließ das Tier scheinbar unbeachtet und
schritt zur Präsidentenloge.
»Läßt
er ihn jetzt in Ruhe?« fragte das Urmel.
»Nein,
jetzt bättet er den Präsädenten um Erlaubnäs, den Stär zu töten.«
Der
Torero nahm den Zweispitz vom Kopf und beschrieb mit ihm einen grüßenden
Halbkreis um die ganze Arena. Das Publikum klatschte.
Doch
das Klatschen verebbte sofort. Es wich einem ungläubigen Staunen. Ein Vogel war
aus der Luft herabgestoßen und hatte dem Torero das rote Tuch entrissen. Völlig
verdutzt stand der tapfere Kämpfer da und glotzte den Vogel an. Der aber nahm
mit seiner Beute Reißaus. Er wickelte sich das rote Tuch so geschickt um den
Schnabel, daß es genauso herabhing wie vorher vom Stock des Toreros.
Und
so stellte er sich vor den Stier, reizte ihn, hielt ihm das Tuch entgegen, ließ
den Koloß vorbeidonnern und bemühte sich, all die eleganten Bewegungen des Toreros
nachzuahmen. Dann wieder stob er mit weit ausgreifenden Vogelbeinen vor dem
Stier einher.
Zunächst
johlte das Publikum. Es hielt die ungewohnte Darbietung für die Laune eines
zufällig vorbeigeflogenen Vogels, eines Storches oder eines Pelikans, was immer
das für ein Vogel sein mochte, den man vor lauter rotem Tuch fast nicht mehr
erkennen konnte.
Der
Torero hielt den Degen unschlüssig in der Hand. Was sollte er tun? Dieser Kampf
war ihm verdorben. Genauso unentschlossen blickten seine vielen Helfer in ihren
bunten Kostümen.
Noch
spielte der Vogel mit dem Stier. Oh, schon sah es so aus, als ob ihn der Stier
auf seine Hörner nehme. Nein, jetzt hatte er etwas ganz anderes auf den
Hörnern, besser gesagt, im Nacken. Einen Reiter, der ebenfalls aus dem Himmel
herabgesegelt kam und mit seinen Flügeln und seiner grünen Haut ganz
außerordentlich dem Drachen glich, wie er vom heiligen Michael bekämpft wurde.
Das berühmte Bild hing ja, allen vertraut, in dem großen Dom der Stadt, über
dem Altar.
Und
kaum wurde er dieses Drachens ansichtig, erhob sich daher der Herr Pfarrer von
seinem Sitz, um in die Kirche zu eilen und zum heiligen Michael für das Wohl
der Stadt zu beten.
Der
Drache schien aber sanften Gemütes zu sein. Er wollte wohl Blutvergießen
vermeiden. Er kämpfte mit dem erschöpften Stier, umkrallte seine Hörner und
drehte seinen Kopf zum Ausgang zurück, zurück zu der Tür, durch die er in die
Arena gestürmt war. Er versuchte anscheinend, ihn in den Stall zu führen.
Und
sicher wäre ihm das auch gelungen, hätte sich jetzt nicht ein ungewöhnliches
Geräusch genähert, ungewöhnlich für die Zuschauer, nicht jedoch für Schusch.
Der sah zum Himmel empor.
Hoch
oben, über der Arena, im Hubschrauber des Königs, stieß Wutz einen
»Öfföff«-Schrei aus: »Der Stier hat das Urmel schon auf den Hörnern, er sticht
es tot!«
Daher,
jede Gefahr für sich selbst nicht achtend, landete seine Majestät mitten im
Sand. Es wirbelte und staubte. Nun war die Verwirrung vollkommen.
Achtzehntes
Kapitel
In dem das Urmel die Flucht ergreift und Wutz in große Gefahr gerät
Das Publikum
war zunächst stumm vor Staunen. Als aus dem Flugzeug jedoch ein rundlicher Mann
mit einer Donnerbüchse kletterte, begann es zu toben. Nun hörte der Spaß
endgültig auf. Die Stierkampfarena war doch kein Jagdrevier!
Schusch
seinerseits hatte den König längst erkannt. Er ließ das rote Tuch dort in den
Sand fallen, wo er gerade stand. Aus war es mit seiner Laufbahn als Torero. Er
stob zum Urmel und krähte ihm zu: »Bleiben wär nun här oder flägen wär weiter?«
Das
Urmel überlegte nur kurz: »Immer werde ich gestört, wenn ich gerade dabei bin,
Erfolg zu haben«, klagte es. »Ich bin noch nicht berühmt genug. Wir fliegen
weiter.«
»Urmel,
mein Urmele, bist du
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