Urmels großer Flug
Urmel.
»Da
bän äch aber neugäräg«, meinte Schusch. »Darf äch zuhören?«
»Du
mußt wieder die Tür offenhalten!«
»Aber
nächt mehr mät meinem Schnabel.«
»Nein,
der Spalt wäre mir sowieso zu klein, um hindurchzuschlüpfen. Wir stellen einen
Küchenstuhl dazwischen.«
Direktor
Doktor Zwengelmann schlief heute recht unruhig. Er hatte sich nämlich wieder
einmal einige spöttische Bemerkungen anhören müssen, von verschiedenen
Kollegen, weil er Professor Habakuk Tibatong zu einem Vortrag eingeladen hatte,
zu einem Vortrag über eine — nun, sagen wir: reichlich weit hergeholte Theorie
von einer unbekannten Tierart, den sogenannten Urmeln, als Bindeglied zwischen
den Dinosauriern und den Säugetieren. Schade um seine Zeit, sich solche
unbeweisbaren Phantastereien anzuhören.
Direktor
Doktor Zwengelmann liebte spöttische Blicke ganz und gar nicht. So was konnte
ihm schon den Schlaf rauben. Er hörte daher — und nicht etwa im Traum — Stimmen
auf dem Küchenbalkon. Er fand Stimmen auf seinem Küchenbalkon zu dieser
Nachtstunde ungewöhnlich, er lauschte und erhob sich leise. Er öffnete sein
Nachtschränkchen und entnahm ihm eine Gaspistole, die er sich vorsichtshalber
zugelegt hatte, nachdem er eines Nachts entführt und in den Zoo geschleppt
worden war. Er schlich sich durch die Küche, ohne Licht anzumachen und sogar
ohne irgendwo anzustoßen, er riß sehr entschlossen die Tür auf, richtete die Pistole
mit lang ausgestrecktem und zitterndem Arm auf die große, dunkle Gestalt und
rief: »Hände hoch, oder ich schieße!«
»Komäsch,
daß dä Menschen ämmer gleich schäßen!« bemerkte Schusch. Er stand so glücklich,
daß es ihm ein leichtes war, Zwengelmann die Pistole mit seiner Schnabelspitze
aus der Hand zu nehmen, sie gewissermaßen dort abzupflücken wie einen reifen
Apfel.
»Hilfe!«
röchelte Zwengelmann. Er wollte die Tür rasch zuziehen. Doch das Urmel hielt
sie fest. »Zwengel, ich muß mit dir reden«, sagte es.
»Oh...
wieso nennst du mich... wieso nennen Sie mich Zwengel? So nennt mich doch nur
Naftaline! Und du... und Sie sind nicht Naftaline!«
»Nein,
ich bin das Urmel!«
»Ach,
Unsinn!« rief Zwengelmann, der wieder Mut faßte, da man ihm offenbar nicht
gleich an den Kragen wollte. Er sah nun schon klarer. Da hatten sich seine
Studenten einen Ulk ausgedacht, um ihn zu verspotten. Ach, hätte er Professor
Habakuk Tibatong doch nie eingeladen! »Diese Urmels kenne ich«, sagte er
tapfer. »Man braucht nur mit einer Nadel hineinzustechen, dann platzen sie, und
die Luft entweicht, und sie sinken in sich zusammen! Also, meine Herren, das
war ein sehr lustig ausgedachter Spaß, aber ich empfehle Ihnen, sich nun wieder
in Ihre Stuben zu begeben und morgen in die Vorlesung zu kommen. Haha! Gute
Nacht!«
»Ja,
vielleicht komme ich morgen auch in die Vorlesung«, rief das Urmel aufgebracht.
»Und dann werden Sie schon sehen, wie fein man in mich hineinpiksen kann, ohne
daß Luft entweicht, und daß ich ganz und gar wirklich bin und kein Studentenulk
oder so was Dummes. Piksen Sie nur, Zwengel, piksen Sie, dann werden Sie schon
sehen, wie unrecht Sie meinem lieben Professor getan haben und immer wieder
tun, der überhaupt viel klüger und schlauer ist als Sie und all Ihre anderen
Professors zusammen!«
»Jetzt
wird es mir aber zu dumm!« antwortete Zwengelmann ebenso erbost. »Ich will doch
nicht auch für verrückt erklärt werden. Machen Sie augenblicklich, daß Sie
verschwinden, sonst benachrichtige ich die Polizei. Und wenn man Ihnen Ihre
dumme Verkleidung erst einmal ausgezogen hat, dann weiß man ja auch, wer Sie
sind, und dann fliegen Sie von der Universität, jawohl, und ich werde Sie
außerdem noch wegen Beleidigung verklagen und wegen nächtlicher Ruhestörung.«
Es gelang ihm, dem Urmel die Tür aus dem Händchen zu reißen, sie zuzuknallen
und von innen fest zu verschließen. Dann eilte er in sein Wohnzimmer und warf
sich in den Lehnsessel. Mit rotem Gesicht überlegte er, ob er wohl die Polizei
anrufen sollte oder ob er sich damit nur noch lächerlicher machen würde.
»Es
ist wirklich ziemlich schwer, den Menschen zu beweisen, daß es einen gibt!«
flüsterte das Urmel enttäuscht auf dem Balkon seinem Begleiter Schusch zu.
»Das
kommt daher, weil du keine Geburtsurkunde hast und auch keinen Reisepaß«, antwortete
dieser, der sich in der Welt schon sehr gut auskannte, und erklärte: »Ohne
Geburtsurkunde und ohne Reisepaß äst der Mensch einfach
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