Urod - Die Quelle (German Edition)
einen Widerstand stießen. Er war weich, aber nicht so glitschig wie der Boden. Enza bückte sich und tastete mit der Hand vorsichtig ab, was sie gefunden hatte. Dabei musste sie einen instinktiven Widerwillen unterdrücken. Sie holte einmal tief Luft und griff zu. Fast im selben Moment war sie sich sicher. Es war der Mantel von Drago. Kein Zweifel. Knöpfe, Schlaufen, alles da. Sie jubilierte innerlich und unterdrückte einen Freudenschrei. Außerdem wusste sie nicht, ob sich der Autoschlüssel überhaupt noch in seinen Taschen befand. Hastig befingerte sie den Mantel und suchte nach Taschen und Innentaschen. In der ersten fand sie ein Klappmesser, das sie sich flugs in ihre Hosentasche steckte. Gleichzeitig ermahnte sie sich, vorsichtiger zu sein, schließlich war Drago ein Fan von scharfen Gegenständen. Sie fand die Innentasche, doch die war leer. Sie zog den nassen Mantel zu sich heran und wollte die andere Seite durchsuchen, als sie auf etwas stieß, das sich wie ein Baseballschläger anfühlte. Es war unter dem Mantel verborgen und sie schlug ihn beiseite, um danach zu greifen. Im selben Moment, in dem ihre Finger sich um den Gegenstand schlossen und ihn anhoben, sahen ihre Augen, und fühlten ihre Hände, was sie da wirklich gepackt hielt. Es war Dragos abgerissener Arm, dessen totenstarre Hand noch das Messer umklammert hielt. Der metallische Geruch von Blut stieg Enza in die Nase und verursachte ihr Übelkeit. Auf dem rohen Fleisch seines ausgerissenen Gelenks perlte der Regen ab und wusch es rein. Einen Moment lang hielt Enza den Arm in der Hand. Ungläubig starrte sie darauf, brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass dieser Arm noch vor ein paar Stunden an Dragos Körper gehangen hatte. Als sich der erste Schock legte, ließ sie den Arm fallen und übergab sich auf den Mantel. Das laute Würgen konnte sie dabei nicht unterdrücken. Als sie fertig war, erschrak sie zu Tode, denn sie sah in den Augenwinkeln, dass jemand neben ihr stand. Ihre Haut wurde kalt und ihre Hand schnellte instinktiv in die Höhe. Sofort wurde ihr Arm gepackt und festgehalten.
„Ich bin's! Sebastian.“
Enza keuchte.
„Ruhig. Komm wieder runter! Atme ein und aus. Hörst du?! Ein und aus. Immer schön langsam.“
Sie tat, was er sagte und merkte, wie sie sich tatsächlich beruhigte. Erst als sie einigermaßen normal atmete, ließ er ihre Hand los.
„Was war denn?“
Enza erzählte ihm flüsternd, was passiert war. Ihre Stimme wollte ihr nicht so recht gehorchen und sie war froh, dass sie nur flüstern konnten.
Sebastian bückte sich. Kurz darauf war ein Knacken zu hören. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er Dragos Messer in der Hand. Enza war wie vom Donner gerührt, als sie erkannte, was er getan hatte. Das Knacken hatte daher gerührt, dass Sebastian Drago die Finger gebrochen hatte, um an das Messer zu kommen.
„Hast du den Schlüssel gefunden?“ fragte er Enza, als sei nichts gewesen.
„Nein. Noch nicht. Ich habe aber nur eine Seite untersucht, also…“ gab sie zurück.
„Gott, was ist das für 'n Gestank!“ fluchte Sebastian, als er sich erneut hinhockte, um den Mantel zu durchsuchen.
„Ich hab' mich übergeben.“
„Das ist ja ekelhaft.“
„Du hast keine Probleme damit, dem Arm eines Toten die Finger zu brechen, aber das bisschen Kotze widert dich an?!“ zischte Enza und konnte kaum fassen, worüber sie sich stritten.
„Ich tue nur, was nötig ist!“
Mit spitzen Fingern betastete Sebastian den Mantel.
„Ach ja? Und ich bin nicht aus Stein. Im Gegensatz zu dir.“
„Warte mal, warte! Ich glaub', ich habe ihn!“
Enza hörte eine leises Klappern und Sebastian richtete sich neben ihr auf.
Er hielt ihr den Schüssel vor die Nase.
„Was sagst du jetzt!“ grinste er und sie konnte seine weißen Zähne in der Dunkelheit schimmern sehen. „Unsere Chancen waren quasi gleich null, aber wir haben ihn! Ist das zu fassen?“
„Lass uns so schnell wie möglich verschwinden!“ war alles, was Enza zu dem Thema sagte, aber die Erleichterung über ihren Fund strömte ihr aus allen Poren.
Sebastian stopfte sich den Schlüssel in seine Jeanstasche. Sie wandten sich um und eilten Richtung Baracke zurück.
In dem Moment hörten sie es.
Dieses Mal deutlicher. Und näher. Viel näher.
Zu nahe.
Wie auf Kommando wirbelten sie beide gleichzeitig herum. Enza hatte den Eindruck ihr Brustkorb müsste zerspringen. Es war nur die eine Sekunde, bevor sie wusste, was sie erwartete. Ein kleiner
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