Urod - Die Quelle (German Edition)
sich nicht. Sie hielt ihr Ohr ganz nah an seine Nase und konnte hören, dass er noch atmete. Gott sei Dank! Sie stieß hörbar Luft aus.
„ Komm schon, sag was! Irgendwas, damit ich weiß, dass du noch lebst.“
Nichts.
„Ähm, das Problem ist, ich kann dich nicht tragen und ich werde dich hier auch nicht liegen lassen. Ich habe also keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Tu mir den Gefallen und komm zu dir, damit wir in die gottverdammte Baracke zurück können.“
Immer noch nichts.
„Gut, dann bleibt mir nichts anderes übrig als das hier!“
Sie schlug ihn mit der flachen Hand ihres noch intakten Arms zweimal ins Gesicht. Sebastian hob ruckartig den Kopf und rollte mit den Augen.
„Ganz ruhig. Ich bin's - Enza. Wir haben's geschafft. Du warst nur ohnmächtig.“
„Ach, Quatsch. Ich hab' das Schwein erledigt!“
„Ja. Ja, das stimmt. Kannst du dich bewegen? Tut dir irgendwas weh, ist was gebrochen, oder so?“
Sebastian bewegte Beine und Arme und verzog das Gesicht zu einer schmerzerfüllten Grimasse.
„Ja, ich weiß. So geht es mir auch. – Kannst du dich aufrichten?“ fragte Enza.
Sie hielt ihm die Hand hin, doch Sebastian beachtete sie nicht und versuchte aus eigenen Kräften aufzustehen, was ihm allerdings misslang. Enza verkniff sich einen Kommentar und hielt ihm erneut die Hand hin. Dieses Mal ergriff er sie, zog sich ein Stück hoch und stützte sich dann schwer auf ihre Schulter. Enza biss die Zähne zusammen, doch der Schmerz war zu stark und ihr entfuhr ein Keuchen.
„Alles klar?“ fragte er.
„Mein Arm hat ganz schön was abbekommen, aber ich werd's überleben“, antwortete sie.
„Fuck!“
Seine Anteilnahme hörte sich sogar echt an. Sebastian probierte einen ersten vorsichtigen Schritt und zischte laut.
„Scheiße. Mein Bein tut vielleicht weh, das glaubst du gar nicht! Hast du die Taschenlampe noch?“
Enza schüttelte den Kopf. Da kein Lichtschein zu sehen war, musste die Lampe im Laufe des Kampfes zerbrochen sein.
„ Lass uns lieber abhauen, bevor…“
Der Rest seines Satzes blieb in der Luft hängen. Panisch fuhr seine Hand zu seiner Hosentasche und klopfte wie wild darauf herum. Enza begriff sofort, was Sebastian dort suchte.
„Der Schlüssel!“ flüsterte sie. „Hast du ihn?“
Als Sebastian schließlich nickte, spürte sie, dass ihr die Tränen kamen. Sie wandte sich ab, damit er es nicht sah. Das hatte er aber trotzdem. Doch anstelle einer höhnischen Bemerkung, war seine Stimme mit einem Mal weich und mitfühlend, aber auch hastig und verunsichert. Er schien zu den Männern zu gehören, die Frauen nicht weinen sehen konnten. Typisch, dachte Enza. Mit starken Frauen kommt er nicht klar, und mit schwachen auch nicht. Trottel!
„Alles ist gut. Wir können zurück, hörst du?! Soll ich dich stützen? Dir irgendwas abnehmen?“ plapperte Sebastian schnell vor sich hin, um bloß ihr Schluchzen zu übertönen.
„Ja, du kannst meine Einkaufstasche tragen“, entgegnete Enza ironisch und musste lachen.
Dankbar stimmte Sebastian in ihr Gelächter mit ein und plötzlich konnten sie gar nicht mehr damit aufhören.
„Leise. Wir müssen leise sein, verdammt!“ japste Enza, schaffte es aber nicht, ihre Lachsalve unter Kontrolle zu bringen.
Die ganze Anspannung brach sich nun Bahn. Als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatten, war die Baracke bereits in Sichtweite. Sie beschleunigten ihre Schritte.
„He, wir waren ein gutes Team, oder?! Ich meine, wir haben's diesem Bastard gezeigt, was!“ sagte Sebastian und Enza hörte seinen Stolz und die Begeisterung darüber in seiner Stimme mitschwingen und konnte absolut nachvollziehen, was er meinte.
„Ja“, sagte sie, „ja.“
„Du warst echt toll!“
Erstaunt über das Kompliment drehte sie sich zu ihm hin und betrachtete aufmerksam sein Gesicht. Es zeigte nicht die Spur von Ironie.
„Du auch!“ entgegnete sie.
Ein paar Schritte gingen sie schweigend nebeneinander her. Dann musste Sebastian wieder grinsen.
„ Was ist?“ fragte Enza.
„ Du arschgesichtiges Monster? Ich meine, da steht ein absolut apokalyptischer Gegner vor uns und dir fällt nichts besseres ein als das?“ gluckste er.
„Das bleibt unter uns, klar?!“ lachte Enza.
Sebastian legte sich den ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger aufs Herz.
„Ich schwör's .“
Dann standen sie vor den erleuchteten Fenstern der Baracke.
Sebastian wollte an die Tür klopfen, aber Enza hielt seinen Arm fest.
„Glaubst du, wir schaffen
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