Urod - Die Quelle (German Edition)
Geist gegangen.
„Habt ihr den Schlüssel eigentlich gefunden?“ ertönte unvermittelt Miles' Stimme.
„Ach ja, der Schlüssel. Habt ihr ihn?“ fragte nun auch Thomas atemlos.
Sebastian ließ es sich nicht nehmen, eine kurze Kunstpause einzulegen, bevor er den Schlüssel hochhielt.
„Natürlich haben wir den Schlüssel. Wir sind schließlich keine Amateure“, bemerkte er großspurig.
Die Freude und Erleichterung darüber war groß und hob die Stimmung bei den anderen merklich an. Der Schlüssel war ihr Symbol der Hoffnung.
Miles wirkte jetzt geschäftig und sehr konzentriert.
„ In etwa drei Stunden geht die Sonne auf und wenn wir Glück haben, hält der Regen an. Gehen wir noch mal durch, was zu tun ist.“
Sebastian schien enttäuscht, dass seine Leistung so wenig gewürdigt wurde und machte ein beleidigtes Gesicht. Die anderen setzten sich auf den Boden, um die Lagebesprechung abzuhalten.
Miles sah ihre eifrigen Gesichter. Ja, eifrig war das richtige Wort. Innerlich musste er lachen. Sie waren Studenten. Sie hingen an seinen Lippen so wie sie vormals an den Lippen seines Vaters gehangen hatten. Wissbegierig. Sie wollten das Richtige tun.
Das Richtige .
Sie hatten ja keine Ahnung. Sebastian und Enza waren voller Enthusiasmus. Sie hatten einen der Urods besiegt. Und sie glaubten, dass sie nun eine Chance hätten. Sie wussten nichts. Der Urod, den sie getötet hatten, war das schwächste Glied in der Kette gewesen, sonst hätte sein Vater ihn niemals dort gelassen. Der Urod war entbehrlich für die Herde. Sein Tod wurde in Kauf genommen. Er zählte nicht. Und genau wegen dieser Einstellung waren sie ihnen überlegen. Nur noch wenige Stunden und sie alle wären dem Untergang geweiht. Sie hatten keine Chance, zu entkommen. Sein Vater war ein hochintelligenter Mann gewesen und nun war er der Anführer. Er besaß immense Fähigkeiten und Miles wusste, dass auch seine Intelligenz nicht nachgelassen hatte. Sie war nur in andere Bahnen gelenkt worden. In welche genau, ließ sich nur erahnen, aber Miles war sicher, dass er sie erwartete. Er wusste mittlerweile, dass sie bei der Quelle gewesen waren. Er hatte es gerochen. Also konnte er sich auch denken, dass sie wieder kommen würden, um die Quelle zu vernichten. Er wusste es. Sicher waren seine Gedanken nicht mehr so menschlich, aber Miles stellte sich vor, dass sie intuitiver waren, eine Art sechster Sinn. Wie Tiere ihn eben haben.
Miles betrachtete einen nach dem anderen. Enza und Sebastian noch glühend vom Kampf und gleichzeitig hundemüde. Thomas so wach und bereit. So entschlossen. Es war fast rührend das zu sehen. Und Violas Gesicht, in das die Furcht und die Angst tiefe Furchen gegraben hatten, die dessen Makellosigkeit nur noch hervorhoben. Doch da war auch etwas anderes. Etwas, das tiefer ging als die Angst. Ein Glitzern in ihren Augen, das eine Akzeptanz zeigte, eine Ruhe, die den Unterschied zwischen Überleben und Sterben ausmachen konnte. In dieser zierlichen Frau steckte eine Willenskraft, die die der anderen weit übertraf. Sie wusste es nicht, aber sie begann es zu ahnen. Miles war plötzlich sicher, dass Viola es schaffen würde. In ihrem Gesicht sah er dieselbe Furcht, die er anfangs auch gefühlt hatte. Verzweifelte, unwiederbringliche Angst. Bis er endlich akzeptieren konnte, dass es das Ende war, so oder so, und er nur noch eine Mission erfüllen musste, um abzutreten. Das war ok. Sein Leben hätte damit einen Sinn gehabt. Er hätte der Menschheit eine üble Geißel erspart. Er hätte sie vielleicht sogar gerettet. Niemand würde es je erfahren, aber in dem Moment, da er sterben würde, hätte er gewusst, dass er ein Märtyrer wäre. Und nun, je länger er in die Augen Violas schaute, umso stärker wuchs die Hoffnung in ihm. Er wollte das nicht. Er hatte sich schon mit allem abgefunden. Aber er war vollkommen wehrlos gegen das Gefühl. Und mit der Hoffnung kehrte auch die Angst zurück. Er hatte wieder etwas zu verlieren. Sein Leben. Seine Zukunft. Gottverdammt, er war nicht mal zwanzig. Die besten Jahre standen ihm noch bevor. Gerade erst hatte er begonnen, sein Leben in den Griff zu kriegen. Er hatte sich von seinem Vater gelöst und eine neue, erwachsene Selbständigkeit gefühlt. Und er hatte nicht mal richtigen Sex gehabt. Er hatte in seinem Leben nicht einen Joint geraucht, geschweige denn härtere Sachen ausprobiert, auch wenn er das gerne herumerzählte. Nicht, dass er so scharf drauf wäre, aber er wollte wenigstens eine
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