Urod - Die Quelle (German Edition)
Schweißgeruch breitete sich aus. Aber auch ein anderer dumpfer, animalischer Geruch. Eine Kombination aus Moschus und Hefe, ähnlich dem in der Höhle nur wesentlich weniger durchdringend. Viola wunderte sich, dass ihr der Geruch keine Übelkeit bereitete. Sie fand ihn zwar gewöhnungsbedürftig, aber nicht widerlich.
Drago hatte das Hemd ganz aufgeknöpft und sie konnten es nun deutlich sehen. Deutlicher als ihnen lieb war. Auf seinem muskulösen Oberkörper, der kein Gramm Fett zu haben schien, wie Sebastian neidisch bemerkte, hatten sich Inseln aus lederähnlicher Haut gebildet, die bläulich changierten. Unter der größten Stelle rührte sich etwas. Als habe er einen lebendigen Goldfisch verschluckt, der nun verzweifelt versucht, einen Ausweg aus der Dunkelheit zu finden. Auswüchse hatten sich auf den Inseln gebildet, die den Eindruck erweckten, dass sich dort in Kürze neue Gliedmaßen bilden würden. Wie bei einem Embryo, dessen Arme und Beine zunächst nichts als Ausstülpungen sind, bevor sie sich in richtige Glieder verwandeln.
Sebastian sprang angeekelt ein Stück zur Seite und auch Thomas wich unwillkürlich nach hinten zurück. Viola und Enza wandten den Blick ab. Viola musste nun doch würgen und rannte an die frische Luft, um sich zu übergeben. Die Krämpfe pressten ihr den ganzen Oberkörper zusammen, doch es kam nichts als bittere Galle. Wie auch, sie hatte ja noch nichts gegessen. Enza kam ebenfalls nach draußen gelaufen und nahm ein paar tiefe Atemzüge. Viola spuckte noch einmal aus und drehte sich dann zu ihr um. Enzas Gesicht war schneeweiß und die Falten zeichneten sich scharf darauf ab - wie hin gekritzelt. Der Schock des Anblicks saß tief. Viola wusste, was sie dachte: Das war der Grund für Nicoles Selbstmord. Sie war dabei gewesen, sich in einen Urod zu verwandeln und konnte diesen Prozess scheinbar nur stoppen, in dem sie aus dem Fenster sprang.
„ Meinst du, sie hatte starke Schmerzen…“
Enza brach die Stimme, bei dieser Vorstellung. Nicht bei dem Menschen sein zu dürfen, den sie von Herzen liebte, als dieser die dunkelsten Stunden seines Lebens durchmachte, war unerträglich für sie. Viola konnte ihren Schmerz förmlich spüren. Sie suchte nach Worten, die Enza trösten könnten, ihr das Leid nehmen sollten, doch ihr fiel nichts ein. Ihr Kopf war leer. Kein einziges Wort wollte sich darin formen. Wahrscheinlich gab es auch keins. Also standen sie eine Weile einfach nur da und blickten hinaus in den Regen, der unberührt von all dem in langen Fäden auf die Erde fiel.
Viola hörte, wie sich Enzas Atem beruhigte. Sie griff nach ihrer Hand.
„ Schaffst du es, wieder reinzugehen?“
Enza wischte sich über die Augen und strich sich mit einer energischen Geste die Haare aus dem Gesicht.
„ Ja, ich denke schon“, antwortete sie und ging dann ohne zu zögern zurück in die Baracke.
„ Das war ganz schön widerlich, was!“ begrüßte Sebastian die beiden, als hätten sie lediglich eine Kuriosität auf dem mittelalterlichen Jahrmarkt bestaunt. Viola wusste, dass es ihm nahe gegangen war und er nur schwer damit zurecht kam, was er gesehen hatte. Immer, wenn er sich so infantil benahm, trieb ihn etwas um, das er anders nicht bewältigen konnte.
Drago hatte sich wieder angekleidet und saß auf der Bank, als ginge ihn die ganze Sache nichts mehr an. Aber auch diese Haltung und Mimik, so schien es Viola, war einfach ein Schutzschild, den er um sich herum errichtet hatte, um die Situation mit Würde ertragen zu können. Obwohl sie keinen Appetit hatte, suchte Viola sich eine Konserve mit Ravioli aus. Sie musste endlich etwas essen, sonst würde sie zusammen brechen. Mit einem Dosenöffner, der auf dem Regal lag, öffnete sie die Konserve und goss den matschigen Inhalt in einen Teller. Sebastian stöhnte auf.
„ Schatz, du bist beinhart. Wie kannst du jetzt was essen?“ Dann sah er den Dosenöffner in ihrer Hand. „He, wo hast du den denn her? Ich versuche hier seit einer Stunde meine Dose aufzumachen.“
Es schien, als sei Sebastian alles recht, um nur nicht wieder zu dem Thema zurückkehren zu müssen, das ihm eine Heidenangst einzujagen schien. Thomas und Viola wussten das, aber Enza hielt sein Gerede für ignorantes Geschwätz.
„ Warum hältst du nicht einfach mal dein dämliches Maul und lässt die Leute machen, was immer sie wollen?!“ blaffte sie ihn an.
„ Da ist aber jemand gereizt!“ erwiderte Sebastian ruhig.
Das brachte Enza nur noch
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