Urod - Die Quelle (German Edition)
heißes Blei. Er hatte die Hosen gestrichen voll, wenn er daran dachte, morgen vielleicht mit einem der Urods kämpfen zu müssen und ihn, wenn es ihm gelang, auch zu töten. Etwas so Großes zu töten, auch wenn es jede Menschlichkeit verloren hatte, war unvorstellbar für ihn. Er hoffte, dass er es im Affekt könnte, aber sicher war er sich nicht. Vielleicht, um Viola zu schützen. Aber sonst? Dann fiel ihm ein, dass Viola es gekonnt hatte. Sie hatte Lea getötet. Mit einer einzigen Bewegung hatte sie ihr Leben ausgelöscht. Er hatte es sich selbst nicht eingestehen wollen, aber das hatte ihn zutiefst erschreckt. Ja, ihn abgestoßen. Auch er hatte erkannt, dass das Ding Lea war und hatte Viola aufhalten wollen, aber dann war alles so schnell gegangen. Sie hatte nicht mal gezögert. Wie sie ausgesehen hatte. Dieses Glühen in ihrem Gesicht. Wie eine Fremde war sie ihm erschienen. Und nun? Irgendetwas war anders an ihr. Sie war plötzlich so stark, so zielgerichtet. Gerne wollte er glauben, dass diese Veränderung etwas mit dem Baby zu tun hatte, aber er wusste, dass es die Tatsache war, dass Viola getötet hatte. Lea getötet hatte. Er fuhr sich mit der Hand über seine Augen und dachte mit aller Macht an das Baby und die Zukunft, die er zusammen mit Viola haben würde. Eine Zukunft, die sofort begann, wenn das hier vorbei war.
Er spürte Enzas Blick auf sich ruhen und sah zu ihr hin. Sie wendete ihre Augen dieses Mal nicht ab, sondern entfernte ihre Ohrhörer und kam zu ihm herüber.
„ Kannst du auch nicht schlafen?“ fragte sie.
„ Ich bin hundemüde. Aber der Gedanke, was morgen ist… Keine Ahnung, ich komme einfach nicht richtig runter.“
„ Was nicht nur an den Urods liegt, oder?“ erwiderte Enza.
Thomas fixierte ihr Gesicht. Was wusste sie? Und wie viel davon würde sie Sebastian erzählen? Sie musste ihn für einen abscheulichen Typen halten.
„ Keine Panik. Das geht mich absolut nichts an.“
Er glaubte ihr. Etwas anderes beschäftigte sie. Natürlich. War er schon so verblendet, dass er dachte, alle Welt würde sich um ihn und seine verquere Gefühlswelt Gedanken machen. Nein. Er spürte, wie Enza sich wand, weil sie nicht wusste, wie sie sagen sollte, was sie sagen wollte. Er wartete ab. Ganz so wie er bei Lea gewartet hatte. Und bei Viola. Das war eine seiner Stärken. Warten, bis der andere soweit war. Ihn zu lassen, bis er von selber kommt.
„ Ich wollte mich bei dir bedanken.“
Thomas war verwirrt. Damit hatte er nicht gerechnet.
„ Dafür, dass du mich heute vor einer ziemlichen Dummheit bewahrt hast. Gott, das ist untertrieben. Katastrophe trifft es eher. Wärst du nicht gewesen, wäre ich jetzt da draußen bei Drago und würde mich mit ihm um die letzten Konserven prügeln, oder sonst was.“
„ Du weißt doch gar nicht, ob du die Pfropfen auch wirklich entfernt hättest. Vielleicht wärst du…“
„ Nein, ich hätte. Ganz sicher. Es war wie ein Zwang. Plötzlich war mir alles egal. Ich wollte es einfach hören. Als ob irgendwas in mir, mich dazu bringen wollte. Ein Gefühl, als wäre ich endlich da angekommen, wo ich schon immer hinwollte.“
Sie schauderte bei der Erinnerung daran.
„ So rückblickend ist das unglaublich beängstigend. Aber in dem Moment habe ich keine Angst gespürt, auch keine Scheu. Ich dachte immer, ich wäre ein sehr willensstarker Mensch, aber da war nichts in mir, das mich davon hätte abhalten können.“
Thomas dachte darüber nach, was Enza ihm gerade geschildert hatte.
„ Weißt du, warum ich zurückgekommen bin?“
„ Weil du bemerkt hast, dass ich nicht mehr hinter euch war?“
„ Ja und nein. Das war mehr oder weniger nur ein Vorwand für mich selbst. Ich wollte es auch. Ab dem Moment, wo wir vor dem Loch standen und dieses Ding, diese Muschel oder was immer es ist, gesehen haben, wollte ich es hören. Genau wie du es beschrieben hast. Es war wie ein innerer Zwang. Etwas in mir sagte, ich müsse es hören, aber da gab es noch eine andere Stimme, die mich gewarnt hat und die am Ende gewonnen hat.“
Enza schien erleichtert, dass Thomas ihre Erfahrung teilen konnte.
„ Das erinnert mich an ein Märchen, das meine Mutter mir abends vor dem Einschlafen immer erzählt hat. Brüderchen und Schwesterchen . Kennst du das?“ Thomas nickte. „Da gibt es doch diese Stellen, wo der Bruder wahnsinnigen Durst hat, aber die Quellen sind verzaubert und sagen so was wie: Trink nicht aus mir, sonst wirst du ein reißender Wolf! “ Thomas
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